Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragsarzt. Genehmigung einer vertragsärztlichen Zweigpraxis. Beurteilungsspielraum der Zulassungsgremien. Umfang der gerichtlichen Überprüfung. Relevanz der tatsächlichen Versorgung vor Ort

 

Orientierungssatz

1. Die Zulassung einer vertragsärztlichen Tätigkeit außerhalb des Vertragsarztsitzes an einem weiteren Ort ist ausschließlich unter den Voraussetzungen des § 24 Abs 3 S 1 Ärzte-ZV zulässig. Den Zulassungsgremien steht dabei ein Beurteilungsspielraum zu; deshalb unterliegt die Entscheidung nur einer beschränkten gerichtlichen Nachprüfung (vgl BSG vom 9.2.2011 - B 6 KA 3/10 R = BSGE 107, 230 = SozR 4-5525 § 24 Nr 2 und vom 9.2.2011 - B 6 KA 7/10 R = SozR 4-5520 § 24 Nr 5).

2. Die gerichtliche Überprüfung beschränkt sich darauf, ob die erforderlichen Tatsachenermittlungen angestellt worden sind und die hieraus gezogenen Schlussfolgerungen vertretbar sind.

Die Ermittlungen müssen sich auf alle Voraussetzungen zur Feststellung einer Versorgungsverbesserung beziehen. Dabei ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht auf bedarfsplanerische Gesichtspunkte abzustellen, sondern allein auf die tatsächliche Versorgung an dem weiteren Ort im Sinne des § 24 Abs 3 Ärzte-ZV (vgl BSG vom 28.10.2009 - B 6 KA 42/08 R = BSGE 105, 10 = SozR 4-5520 § 24 Nr 3).

 

Normenkette

SGB V § 98 Abs. 2 Nr. 13; Ärzte-ZV § 24 Abs. 3 S. 1 Nrn. 1-2

 

Tenor

Das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 2. Mai 2012 und der Bescheid der Beklagten vom 20. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. November 2009 werden aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, über den Antrag der Klägerin auf Genehmigung einer gynäkologischen Zweigpraxis in Guben vom 18. Dezember 2008 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin, ein Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) mit Sitz in Forst, begehrt die Genehmigung einer gynäkologischen Zweigpraxis im ca. 30 (Straßen-) km entfernten Guben.

Der örtliche Planungsbereich Spree-Neiße ist für die Zulassung von Gynäkologen gesperrt.

Der Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe Dr. R verzichtete zum 31. Dezember 2008 auf den von ihm in Guben gehaltenen Vertragsarztsitz, damit dieser von der Klägerin übernommen werden konnte. Diese wurde mit Wirkung vom 1. Januar 2009 zur vertragsärztlichen Tätigkeit zugelassen. Ihr wurde die Anstellung des Dr. R als Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe mit Wirkung vom selben Tag genehmigt.

Sie beantragte am 19. Dezember 2008 bei der Beklagten die Genehmigung einer Zweigpraxis in Gab 2. Januar 2009. Dort solle zunächst der bei ihr angestellte Dr. R tätig werden, später die Ärzte J K sowie E T.

Die Beklagte wandte sich an zwei Mitglieder ihres Beirates mit der Bitte um Stellungnahme zu der Frage, ob durch eine Zweigpraxisgenehmigung die Versorgung der Versicherten an den weiteren Orten verbessert und die ordnungsgemäße Versorgung der Versicherten am Ort des Vertragsarztsitzes nicht beeinträchtigt werde. Das Beiratsmitglied Dr. K aus G befragte seinerseits die in G ansässigen Gynäkologen. Diese äußerten mit Schreiben vom 28. Januar 2009, durch sie (drei Ärzte) sei die ambulante Versorgung aller Frauen in G gesichert. Die Zahl der Einwohner der Stadt und ihrer Umgebung habe sich stetig deutlich verringert, somit auch die Anzahl der Patientinnen. Die zusätzliche Errichtung einer MVZ-Praxis sei nicht erforderlich und werde von ihnen entschieden abgelehnt. Eine MVZ-Praxis für Gynäkologie/Geburtshilfe verschaffe sich durch andere Rahmenbedingungen und eine bessere finanzielle Ausstattung Vorteile gegenüber den niedergelassenen Gynäkologen. Auch die Dipl.-Med. E aus F holte eine Stellungnahme der in Forst ansässigen Gynäkologen ein. Die zwei Fachärztinnen äußerten, dass eine gynäkologische Sprechstunde in G sicherlich sinnvoll sei, nicht jedoch im MVZ in F, da drei Gynäkologen vor Ort arbeiteten und somit die Versorgung der Patienten abgesichert sei. Die Einwohnerzahl der Stadt F sei stetig rückläufig, insbesondere wanderten Mädchen und junge Frauen ab (Stellungnahme vom 7. Januar 2009).

Mit Bescheid vom 20. März 2009 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Die Voraussetzung nach § 24 Abs. 3 Satz 1, Satz 2 Zulassungsverordnung für Ärzte (Ärzte-ZV) in der Fassung des Gesetz zur Änderung des Vertragsarztrechts und anderer Gesetze (Vertragsarztrechtsänderungsgesetz - VÄndG) vom 22. Dezember 2006 seien nicht erfüllt. Voraussetzung für das Vorliegen einer Versorgungsverbesserung am Ort der Zweigpraxis sei, dass im Rahmen einer kleinräumigen Lokalbetrachtung festgestellt werde, dass nicht ausreichend Ärzte an der Versorgung teilnähmen und in zumutbarer Entfernung für die Versicherten zur Verfügung stünden.

Nach dem Zulassungsverzicht von Dr. R stünden in G für die Bewohner der Stadt (11.650 Einwohner) bzw. des Altkreises G (ca. 27.850 Einwohner) immer noch drei niedergelassene Fachärzte für Gynäkologie zur Ve...

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