Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Unterkunft und Heizung. angemessene Unterkunftskosten. Einpersonenhaushalt in Berlin. schlüssiges Konzept des Grundsicherungsträgers. AV-Wohnen 2015. Nachweis der Verfügbarkeit angemessenen Wohnraums
Leitsatz (amtlich)
1. Die Verfügbarkeit von Wohnraum kann sowohl durch einen Abgleich der konkreten Anzahl von angebotenen und nachgefragten Wohnungen als auch durch einen Vergleich mit Anteilen von Angebot und Nachfrage nachgewiesen werden.
2. Der Verfügbarkeitsnachweis kann nicht durch Berechnungen geführt werden, wonach Leistungsberechtigte im angespanntem Mietmarkt die gleichen statistischen Chancen auf wenige verfügbare Wohnungen wie ihre Nachfragekonkurrenten haben.
3. Die Verfügbarkeit von Wohnraum kann nicht nachgewiesen werden durch einen Vergleich des Anteils der Nachfragekonkurrenz an der Gesamtheit der Bevölkerung mit dem Anteil angemessener Wohnungen an einer - nach Angemessenheitswerten gebildeten - Teilmenge des Mietmarktes im Vergleichsraum.
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 13. Oktober 2020 geändert.
Der Bescheid des Beklagten vom 30. Juni 2016 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 2. August 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. August 2016 wird geändert und der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger für den Zeitraum vom 1. Juli 2015 bis 30. Juni 2016 unter Anrechnung bereits geleisteter Zahlungen höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II unter Berücksichtigung von Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von
·458,22 Euro monatlich in den Monaten Juli, September, Oktober und Dezember 2015 und
·541,82 Euro in den Monaten Januar bis Juni 2016
zu zahlen.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Der Beklagte hat die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Klägers für das gesamte Verfahren zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Im Streit ist die Höhe der Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung im Zeitraum von Juli 2015 bis Juni 2016.
Der 1968 geborene alleinstehende, erwerbsfähige Kläger (und Berufungskläger) bezieht seit Jahren Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) vom beklagten Jobcenter (Beklagter und Berufungsbeklagter, im Folgenden nur Beklagter). Er lebt in Berlin in einer 63 m² großen 2-Zimmer-Wohnung, die über eine Ölzentralheizung beheizt wird und für die er im Streitzeitraum monatlich 348,90 Euro Nettokaltmiete zzgl. 123,00 Euro Heizkostenvorauszahlung, 96,36 Euro Betriebskostenvorauszahlung und eine Kabelfernsehgebühr von 15,82 Euro, insgesamt also 584,08 Euro zahlen musste. Laut Mietvertrag umfassen die Vorauszahlungen für die kalten Betriebskosten u.a. auch die Kosten „des Betriebs der Gemeinschaftsantennenanlage und des Betriebs der mit einem Breitbandkabelnetz verbundenen privaten Verteilanlage“. Gemäß § 10 Abs. 1 des Mietvertrages war der Kläger verpflichtet, zum Betrieb von Rundfunk- oder Fernsehgeräten den Kabelfernsehanschluss zu benutzen. Die Gesamtheizfläche der Liegenschaft beträgt 1.340,24 m². Die Warmwasserversorgung erfolgt dezentral über Durchlauferhitzer in Küche und Bad.
Der Beklagte hatte den Kläger in der Vergangenheit bereits mehrfach aufgefordert, die Kosten der Unterkunft zu senken. Als angemessen für einen Ein-Personen-Haushalt wurde zunächst ein Betrag von 360,00 Euro bruttowarm genannt (Schreiben vom 22. Dezember 2008), später ein Betrag von 378,00 Euro (Schreiben vom 5. Februar 2010 und vom 1. April 2010). Einen Darlehensantrag auf Übernahme von Mietrückständen in Höhe von 4.913,10 Euro hatte der Beklagte am 22. Mai 2013 abgelehnt. Am 19. Januar 2016 und bis zum Ende des hier streitigen Zeitraums (und auch darüber hinaus) hatte der Kläger bei seinen Vermietern Mietschulden in Höhe von 6.818,68 Euro. Die Gewährung eines Darlehens in Höhe von 6.224,83 Euro zur Tilgung der Mietschulden ist Gegenstand eines weiteren Rechtsstreits zwischen den Beteiligten, der am Sozialgericht Berlin geführt wird ( S 38 AS 8369/19 ). Die Heizkostenabrechnung für das Jahr 2014, erstellt am 11. August 2015, ergab für den Kläger ein Guthaben in Höhe von 571,62 Euro. Ausweislich des Mietkontoauszuges schrieb die Hausverwaltung dieses Guthaben dem Mietkonto des Klägers am 18. August 2015 zum 1. Oktober 2015 gut. Wegen der erfolgten Gutschrift in Höhe von 571,62 Euro forderte der Beklagte mit Bescheid vom 10. Mai 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. August 2016 Leistungen für die Bedarfe für Unterkunft und Heizung für den Monat November 2015 in Höhe von 418,54 Euro vom Kläger zurück. Im Rahmen eines hierüber geführten Klageverfahrens ( S 144 AS 13917/16 ) hob der Beklagte diesen Bescheid in der mündlichen Verhandlung vom 24. November 2023 auf. Die Betriebskostenabrechnung 2014, erstellt am 5. Mai 2015, ergab für den Kläger ein Guthaben in Höhe von 54,86 Euro. Dieser Betrag wurde dem Mietkonto des Klägers am 5. Juni 2015 zum 1. Juli 2015 gutgeschrieben.
Mit Weiterbewilligungsantrag vo...