Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Bildung und Teilhabe. Schülerbeförderungskosten. Nutzung eines Pkw. Eigentumsverhältnisse am Pkw. Bemessung der Fahrtkosten nach Kilometerpauschalen. Berücksichtigung von Fahrten ohne den zu befördernden Schüler
Leitsatz (amtlich)
1. Sofern die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel unmöglich oder unzumutbar ist, sind im Rahmen des Anspruchs auf Leistungen der Schülerbeförderung nach § 28 Abs 4 SGB II auch die Aufwendungen für Pkw-Fahrten zu berücksichtigen.
2. Die Aufwendungen, die durch Fahrten mit dem Pkw von der Wohnung eines Elternteils zur Schule und von der Schule zurück entstehen, sind unabhängig von den Eigentumsverhältnissen am Fahrzeug grundsicherungsrechtlich dem Bedarf des Schülers zuzuordnen.
3. Fahrtkosten bei Nutzung eines Kraftfahrzeugs sind im Rahmen des § 28 Abs 4 SGB II durch Rückgriff auf Kilometerpauschalen zu bestimmen. In Anlehnung an § 5 Abs 1 BRKG (juris: BRKG 2005) sind 0,20 € pro Kilometer zugrunde zu legen.
4. Es sind nicht lediglich die Aufwendungen für solche Fahrten zu berücksichtigen, in denen sich der zu befördernde Schüler in dem von dem Elternteil geführten Pkw befindet. Vielmehr umfasst der Anspruch nach § 28 Abs 4 SGB II auch solche weiteren Fahrten, die zwingend oder zumindest vernünftigerweise mit der Beförderung zur Schule und/oder von der Schule zurück einhergehen; dies sind namentlich Fahrten, welche der befördernde Elternteil alleine zurücklegen muss, um nach dem Absetzen des Schülers an der Schule wieder nach Hause zu gelangen oder um den Schüler nach Beendigung des Unterrichts dort abzuholen.
Tenor
Das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 18. Juli 2018 sowie der Bescheid des Beklagten vom 1. März 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. April 2017 werden abgeändert. Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 1. Januar 2015 bis 31. Juli 2015 weitere Leistungen der Schülerbeförderung in Höhe von 343,88 € zu gewähren. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren in vollem Umfang und im Verfahren vor dem Sozialgericht zur Hälfte zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Im Streit steht die Berücksichtigung von Aufwendungen für Schülerbeförderung in der Zeit von Januar bis Juli 2015.
Der 1996 geborene Kläger leidet u. a. an einer Autismus-Spektrum-Störung und an Epilepsie. Der vom Versorgungsamt festgestellte Grad der Behinderung (GdB) beträgt 80; außerdem sind die Merkzeichen B, G und H zuerkannt. Die zuständige Senatsverwaltung stellte beim Kläger bereits 2003 sowie erneut 2012 einen sonderpädagogischen Förderbedarf fest.
Die Eltern des Klägers sind seit geraumer Zeit geschieden. Im streitigen Zeitraum lebten sie in getrennten Wohnungen in B, die Mutter in der G Straße in A , der Vater im K Weg in B. Der Kläger war unter der Anschrift des Vaters gemeldet. Tatsächlich hielt er sich gemäß einer zwischen seinen Eltern getroffenen Absprache teils im Haushalt der Mutter und teils im Haushalt des Vaters auf. Beide Eltern waren als Betreuer des Klägers bestellt, wobei jeder von ihnen einzeln vertretungsberechtigt war.
Der Beklagte gewährte dem Kläger und seiner Mutter ab Mitte 2011 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II).
Im streitigen Zeitraum besuchte der Kläger die P Schule in B. Hierbei handelt es sich um eine Waldorfschule mit dem sonderpädagogischen Förderschwerpunkt „Geistige Entwicklung“. Die Entfernung zwischen der damaligen Wohnung der Mutter des Klägers und der Schule beläuft sich auf 26,3 km. Der Kläger wurde von seiner Mutter an Tagen, an denen er sich bei ihr aufhielt, mit dem Pkw zur Schule gefahren und / oder dort von ihr abgeholt. Den Pkw hatte die Mutter nach eigenen Angaben von ihrem Vater - dem Großvater des Klägers - zur Verfügung gestellt bekommen, wobei sie die mit der Nutzung verbundenen Aufwendungen wie Benzin- und Reparaturkosten sowie Versicherungsbeiträge zu tragen hatte.
Am 31. Oktober 2014 sowie am 8. Mai 2015 stellte die Mutter des Klägers beim Beklagten für sich und den Kläger jeweils Weiterbewilligungsanträge. Außerdem beantragte sie jeweils die Übernahme der Fahrtkosten für die Fahrten zur Schule des Klägers. Sie gab an, dass der Kläger keine öffentlichen Verkehrsmittel nutzen könne. Das Licht, die Geräusche und die vielen Menschen würden Stress und epileptische Anfälle bei ihm auslösen. Von der Wohnung seines Vaters zur Schule stehe dem Kläger ein Fahrdienst zur Verfügung. Da dieser Fahrdienst nur ein Mal gewährt werde, könnten sie und der Kläger nicht darauf zurückgreifen.
Der Beklagte bewilligte daraufhin dem Kläger und dessen Mutter Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit von Dezember 2014 bis Mai 2015 sowie von Juni bis November 2015. Den Kläger berücksichtigte sie als temporäres Mitglied der Bedarfsgemeinschaft.
Unter dem 18. Juni 2015 erstellte die Bundesagent...