Entscheidungsstichwort (Thema)

Überlanges Gerichtsverfahren. Entschädigungsklage. gerichtskostenfreies sozialgerichtliches Verfahren. PKH-Verfahren kein eigenständiges Gerichtsverfahren. Verlängerung der Vorbereitungs- und Bedenkzeit. dreimonatige Verlängerung bei PKH-Beschwerde an das LSG. sechsmonatige Verlängerung bei exzessiver Inanspruchnahme der Gerichte. keine besondere Bedeutung bei offensichtlich unzulässiger Klage. eigenes Prozessverhalten der Klägers. Unterbrechung von inaktiven Zeiten durch Einreichung von Schriftsätzen. Unschädlichkeit des Zuwartens auf mögliche Erkenntnisse aus parallelen Verfahren. Übertragung nicht aufgebrauchter Überlegungs- und Bedenkzeit in die höhere Instanz. Widerlegung der Vermutung eines immateriellen Nachteils bei hoher Anzahl an klägerischen Verfahren und unangemessener Verfahrensführung

 

Leitsatz (amtlich)

Das PKH-Bewilligungsverfahren stellt jedenfalls in gerichtskostenfreien sozialgerichtlichen Verfahren kein eigenes Gerichtsverfahren im Sinne des § 198 Abs 6 Nr 1 GVG dar.

Wird während des anhängigen erstinstanzlichen Verfahrens gegen eine ablehnende PKH-Entscheidung des Landessozialgericht angerufen, verlängert sich die dem Sozialgericht zustehende Vorbereitungs- und Bedenkzeit von in der Regel zwölf Monaten um regelmäßig mindestens drei Monate.

Nimmt der Kläger eine Gerichtsbarkeit exzessiv, wenn nicht gar aus sachfremden Zwecken in Anspruch, kann die den Gerichten regelmäßig im Umfang von zwölf Monaten zur Verfügung stehende Vorbereitungs- und Bedenkzeit verlängert werden (hier: je Instanz auf 18 Monate).

Da Anknüpfungspunkt der Verfahrensdauer nach § 198 Abs 6 Nr 1 GVG das gerichtliche Verfahren insgesamt ist, ist eine Übertragung in einer Tatsacheninstanz nicht in Anspruch genommener Vorbereitungs- und Bedenkzeit auf die andere möglich.

Die Anzahl der von einem Kläger geführte Verfahren, die jeweiligen Streitgegenstände sowie die Art der Verfahrensführung können den Schluss zulassen, dass mangels seelischer Unbill kein entschädigungsfähiger immaterieller Nachteil eingetreten ist.

 

Orientierungssatz

1. Eine offensichtlich unzulässige Klage ist nicht dazu geeignet, dem Rechtsstreit zu Bedeutung zu verhelfen.

2. Von einem Kläger - auch im Rahmen zulässigen Prozessverhaltens - selbst herbeigeführte Verfahrensverzögerungen fallen in seinen Verantwortungsbereich (vgl BSG vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 12/13 R = SozR 4-1720 § 198 Nr 4).

3. Es liegt keine inaktive Zeit der Verfahrensführung vor, wenn ein Kläger während Phasen (vermeintlicher) Inaktivität des Gerichts durch das Einreichen von Schriftsätzen eine Bearbeitung des Vorganges durch das Gericht bewirkt (vgl BSG vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 12/13 R aaO).

4. Zeiten des Zuwartens auf Ergebnisse oder Ermittlungen in einem parallelen Verfahren können generell als Zeiten der aktiven Bearbeitung anzusehen sein, wenn zu erwarten ist, dass in einem solchen Verfahren Erkenntnisse gewonnen werden, die auch für das Ausgangsverfahren von Relevanz sind, oder wenn die Beteiligten diesem Vorgehen ausdrücklich zustimmen (vgl BSG vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 12/13 R aaO).

 

Tenor

Die Klagen werden abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt Entschädigungen wegen überlanger Dauer des vor dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg unter dem Aktenzeichen L 20 AS 1436/10 geführten Berufungsverfahrens sowie wegen überlanger Dauer der Bearbeitung seines in diesem Verfahren gestellten Antrages auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe. Dem inzwischen rechtskräftig abgeschlossenen Ausgangsverfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Am 28. Juli 2009 erhob der Kläger beim Sozialgericht Frankfurt (Oder) Klage, mit der er die "Offenlegung des Regelsatzes … hinsichtlich der einzelnen Komponenten der Regelsatzleistung …" sowie die Verurteilung des beklagten Grundsicherungsträgers zur Zahlung von Leistungen für den Monat Juli 2009 und zur Gewährung weiterer Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II) für die Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 645,88 € erstrebte. Mit Schreiben vom 29. Juli 2009 erweiterte er seine Klage und begehrte nunmehr zusätzlich Fahrtkostenerstattung für das Zurücklegen einer Strecke von je 30 km mit dem Fahrrad (einmal zur Abgabe von Unterlagen, einmal zur Entgegennahme einer Auszahlung) sowie die Verurteilung des Beklagten zur Gewährung von weiteren 85,70 € (Rechnung über die Schlussabnahme eines Kamins vom 20. Juli 2009).

Das Verfahren wurde unter dem Aktenzeichen S 20 AS 1473/09 registriert. Dem Kläger wurde unter dem 06. August 2009 unter gleichzeitiger Abgabe eines rechtlichen Hinweises der Eingang bestätigt; weiter wurde er um Klarstellung zu einem Teil des Begehrens gebeten. Der damalige Beklagte wurde am selben Tage zur Erwiderung innerhalb von vier Wochen und zur Aktenübersendung aufgefordert.

Mit am 17. August 2009 bei Gericht eingegangenem Schreiben beantragte der Kläger Prozesskostenhilfe im Hinblick...

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