Entscheidungsstichwort (Thema)
Bildung des Gesamtgrades der Behinderung im Schwerbehindertenrecht
Orientierungssatz
1. Liegen mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vor, so ist der Grad der Behinderung gemäß § 69 Abs. 3 SGB 9 nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzusetzen.
2. Aus einem Teil-GdB von 30 für eine psychische Erkrankung, einem GdB von 70 für Funktionsstörungen beider Kniegelenke und einem weiteren GdB von 20 für ein Wirbelsäulenleiden ist ein Gesamt-GdB von 50 zu bilden.
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 14. August 2014 geändert sowie der Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 24. Oktober 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Juni 2012 verpflichtet, bei der Klägerin mit Wirkung ab Januar 2014 einen Grad der Behinderung von 50 festzustellen.
Der Beklagte hat der Klägerin deren notwendige außergerichtliche Kosten des gesamten Verfahrens zur Hälfte zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Höhe des Grades der Behinderung (GdB).
Bei der Klägerin wurde im Jahr 2000 ein Grad der Behinderung von 30 festgestellt. Am 17. Mai 2011 stellte sie einen Änderungsantrag. Der Beklagte wies den Antrag durch Bescheid vom 24. Oktober 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Juni 2012 mit der Begründung ab, dass der Gesamt-GdB weiterhin 30 betrage. Dieser Entscheidung legte der Beklagte folgende Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde:
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1. |
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psychische Störung (Einzel-GdB von 10), |
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2. |
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Refluxkrankheit der Speiseröhre (Einzel-GdB von 10), |
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3. |
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Harnblasenentleerungsstörung (Einzel-GdB von 10), |
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4. |
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Funktionsstörung der Wirbelsäule (Einzel-GdB von 20), |
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5. |
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Funktionsstörung des linken Schultergelenks (Einzel-GdB von 10), |
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6. |
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Funktionsstörung beider Kniegelenke (Einzel-GdB von 20). |
Mit ihrer Klage vor dem Sozialgericht Neuruppin hat die Klägerin einen Grad der Behinderung von mindestens 50 begehrt. Das Sozialgericht hat neben Befundberichten das Gutachten des Chirurgen Dr. B vom April 2014 eingeholt, der den Grad der Behinderung ab Mai 2011 auf 20 eingeschätzt hat. Der Gutachter hat hierzu folgende Behinderungen ermittelt:
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1. |
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Harnblasenentleerungsstörung (Einzel-GdB von 10), |
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2. |
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Knorpelschaden beider Kniegelenke (Einzel-GdB von 20). |
Mit Urteil vom 14. August 2014 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen.
Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung des Gutachtens des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. C vom 8. Juni 2015, der einen Gesamt-GdB von 40 vorgeschlagen hat. Auf seinem Fachgebiet hat der Sachverständige eine psychische Störung festgestellt, die er mit einem Einzel-GdB von 30 ab 2014 bewertet hat.
Ferner hat der Senat das Gutachten des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. S vom 11. März 2016 eingeholt. Der Sachverständige hat den Gesamt-GdB ab Januar 2014 mit 40 bewertet. Hierbei hat er folgende GdB-relevante Behinderungen der Klägerin berücksichtigt:
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1. |
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Harninkontinenz 1.-2. Grades (Einzel-GdB von 10), |
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2. |
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Hüftgelenkverschleiß beidseits, Unterschenkelbruch rechts, Kniegelenkverschleiß rechts, Kniegelenkverschleiß links (Einzel-GdB von 20), |
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3. |
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Verschleiß der Wirbelsäule, Bandscheibenleiden (Einzel-GdB von 20), |
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4. |
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Depression, mittelgradige Episode, ausgeprägte Somatisierung (Einzel-GdB von 30) |
In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 26. April 2016 hat die Klägerin ihr Begehren auf die Zuerkennung eines GdB von 50 ab Januar 2014 beschränkt.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 14. August 2014 aufzuheben sowie den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 24. Oktober 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Juni 2012 zu verpflichten, bei ihr mit Wirkung ab Januar 2014 einen Grad der Behinderung von 50 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Ausführungen der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen. Ferner wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung der Klägerin ist, soweit sie aufrechterhalten wird, begründet.
Der Klägerin hat Anspruch auf Feststellung eines GdB von 50 mit Wirkung ab Januar 2014.
Nach den §§ 2 Abs. 1, 69 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch (SGB IX) sind die Auswirkungen der länger als sechs Monate anhaltenden Funktionsstörungen nach Zehnergraden abgestuft entsprechend den Maßstäben des § 30 Bundesversorgungsgesetz zu bewerten. Hierbei sind die in der Anlage zur Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412) festgelegten “Versorgungsmedizinischen Grundsätze„ heranzuziehen.
Die seelische Erkrankung der Klägerin bedingt einen Einzel-GdB von 30. Der Senat folgt der überzeugenden Einschätzung des Sachverständigen Dr. C, der na...