Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsärztliche Versorgung. Wirtschaftlichkeitsprüfung. Rahmenvorgaben nach § 106b Abs 2 SGB 5. Schiedsspruch des Bundesschiedsamtes nach § 89 Abs 2 SGB 5. unzulässige Verordnung von Arzneimitteln. Anwendbarkeit der Differenzkostenberechnung nach § 106b Abs 2a SGB 5
Orientierungssatz
§ 106b Abs 2a S 1 SGB 5 ist dahingehend auszulegen, dass die Differenzkostenberechnung im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung lediglich auf Nachforderungen wegen unwirtschaftlicher Verordnungen im engeren Sinne anzuwenden ist und sämtliche Formen der unzulässigen Verordnung nicht erfasst.
Leitsatz (amtlich)
1. Die in § 106b Abs 2a S 1 SGB V angeordnete Differenzkostenberechnung ist nur auf die unwirtschaftliche Verordnung im engeren Sinne anzuwenden.
2. Für die unzulässige Verordnung (unwirtschaftliche Verordnung im weiten Sinne) ist nach § 106b Abs 2a S 2 SGB V in Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts die Berücksichtigung von Einsparungen zugunsten des Arztes und damit die Bildung einer Differenz ausgeschlossen.
Nachgehend
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen einen Schiedsspruch des Beklagten im Hinblick auf den Anwendungsbereich der Differenzkostenberechnung im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung nach § 106b Abs. 2a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V).
Die Klägerin und der Beigeladene sind die Vertragsparteien der nach § 106b Abs. 2 SGB V geforderten Rahmenvorgaben für die Wirtschaftlichkeitsprüfung ärztlich verordneter Leistungen, welche wiederum die Grundlage für die Vereinbarungen gemäß § 106b Abs. 1 SGB V zwischen den Landesverbänden der Krankenkassen und den Ersatzkassen sowie den Kassenärztlichen Vereinigungen (Prüfvereinbarungen) bilden.
Erstmals traten die Rahmenvorgaben nach § 106b Abs. 2 SGB V für die Wirtschaftlichkeitsprüfung ärztlich verordneter Leistungen am 1. Dezember 2015 in Kraft. In der Folge kam es zu wiederholten Anpassungen.
Durch das Gesetz für schnellere Termine und eine bessere Versorgung (TSVG) vom 6. Mai 2019 (BGBl. I, S. 646 ff.) kam es zu Änderungen in den gesetzlichen Vorgaben zur Wirtschaftlichkeitsprüfung. So wurde unter anderem in § 106b SGB V ein Absatz 2a mit folgendem Wortlaut eingeführt:
„1Nachforderungen nach Abs. 1 Satz 2 sind auf die Differenz der Kosten zwischen der wirtschaftlichen und der tatsächlich ärztlich verordneten Leistung zu begrenzen. 2Etwaige Einsparungen begründen keinen Anspruch zugunsten des verordnenden Arztes. 3Das Nähere wird in den einheitlichen Rahmenvorgaben nach Absatz 2 vereinbart.“
Aufgrund dessen kam es zu einer Neufassung der Rahmenvorgaben am 1. Mai 2020, zuletzt geändert am 26. Mai 2021. In dieser trafen die Klägerin und der Beigeladene in Umsetzung des § 106b Abs. 2a SGB V folgende Vereinbarung:
„§ 3a Berücksichtigung einer Kostendifferenz gemäß § 106b Abs. 2a SGB V
(1) 1Nachforderungen sind auf die Differenz der Kosten zwischen der wirtschaftlichen und der tatsächlich verordneten Leistung zu begrenzen. 2Etwaige Einsparungen begründen keinen Anspruch zugunsten des verordnenden Arztes. 3Die Sätze 1 und 2 gelten auch im Falle von Maßnahmen nach § 106b Abs. 2 Satz 3 Halbsatz 1 SGB V. 4Die Berücksichtigung einer Kostendifferenz ist nur dann vorzunehmen, wenn die in Rede stehende Verordnung nicht bereits durch § 34 SGB V oder nach Anlage 1 der Heilmittel-Richtlinie ausgeschlossen ist und die Voraussetzungen nach § 12 Abs. 11 Arzneimittel-Richtlinie nicht vorliegen.“
In der Folge kam es zu Unstimmigkeiten bei den Partnern auf Regionalebene, wie § 3a der Rahmenvorgaben vom 1. Mai 2020 in Bezug auf weitere Formen der unzulässigen Verordnung (Verordnungen von arzneimittelrechtlich nicht zugelassenen Arzneimitteln, Verordnungen von neuen Heilmitteln, bei denen der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) noch keinen Beschluss nach § 138 SGB V gefasst hat und daher der therapeutische Nutzen noch nicht anerkannt ist, Off-Label-Use-Verordnungen unter Verstoß gegen die vom Bundessozialgericht (BSG) entwickelten Voraussetzungen (unzulässiger Off-Label-Use), Verordnungen unter Verstoß gegen Sprechstundenbedarfsvereinbarungen) zu verstehen sei. Dabei stellte sich insbesondere die Frage, ob die Aufzählung in Satz 4 abschließend sei.
Aufgrund einer notwendigen Anpassung der Rahmenvorgaben an die geänderten Vorgaben durch das Gesetz zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung (GVWG) vom 11. Juli 2021 (BGBl I, 2754 ff.) verhandelten die Klägerin und der Beigeladene erneut über die Rahmenvorgaben, wobei auch über Anpassungen bei der Regelung zur Differenzkostenberechnung diskutiert wurde. Dabei konnten sich die Vertragspartner nicht über alle Punkte einigen, so dass der Beigeladene von seinem Kündigungsrecht gemäß § 9 Abs. 1 der Rahmenvorgaben Gebrauch machte und diese gegenüber der Klägerin am 25. M...