Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosenversicherung: Berücksichtigung von Nebeneinkommen aus selbständigen Tätigkeiten bei der Gewährung von Arbeitslosengeld. Notwendigkeit zur vorläufigen Bewilligung von Leistungen bei Ungewissheit über die Höhe eines Nebeneinkommens

 

Orientierungssatz

Lässt sich im Zeitpunkt des Erlasses eines Arbeitslosengeldbescheides aufgrund einer nebenberuflich ausgeübten selbständigen Tätigkeit noch nicht abschließend feststellen, in welcher Höhe der Arbeitslosengeldempfänger im Bewilligungszeitraum Einkommen neben dem Arbeitslosengeld beziehen wird, so darf die Festsetzung des Arbeitslosengeldes nur vorläufig erfolgen. Erlässt die Verwaltung dennoch einen endgültigen Bescheid, so ist dann, wenn sich nachträglich herausstellt, dass der Bescheid wegen fehlerhafter Annahmen bereits im Zeitpunkt seines Erlasses objektiv rechtswidrig war, eine Rücknahme des Bescheides nach § 45 SGB 10 zu beurteilen.

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 13. Dezember 2013 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt auch die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid in Höhe von noch 1.139,02 € wegen überzahlten Arbeitslosengeldes (Alg) im Hinblick auf erzieltes Nebeneinkommen aus selbständigen Tätigkeiten.

Der 1953 geborene Kläger war vom 1. Mai 2008 bis 31. März 2010 im Rahmen eines befristeten Beschäftigungsverhältnisses im Umfang von 38,50 Stunden pro Woche seit 1. Januar 2009, vorher 30,80 Stunden pro Woche, bei der TB als wissenschaftlicher Mitarbeiter mit einem Bruttoarbeitsentgelt von zuletzt 4.294,57 € monatlich beschäftigt. Am 1. April 2010 meldete er sich bei der Beklagten arbeitslos und beantragte Alg ab diesem Zeitpunkt. In seinem Antrag vom 16. April 2010 gab er an, bis Mitte April 2006 wäre er selbständig als Ingenieur tätig gewesen. Seit 2006 würde er diese Tätigkeit sowie einen Taxibetrieb als Nebenbeschäftigungen ausüben, und zwar im Umfang von insgesamt acht Stunden wöchentlich (nur Bürotätigkeiten) und einem voraussichtlichen Entgelt von 100 € monatlich netto. Sein früherer Arbeitgeber hatte die Nebentätigkeiten im Mai 2008 im Umfang von 2 Stunden wöchentlich (bezüglich des eigenen Ingenieurbüros) und 5 Stunden wöchentlich (hinsichtlich der Verwaltungsarbeit im eigenen Taxibetrieb) genehmigt. Für den Taxibetrieb war ein nicht vollbeschäftigter Fahrer tätig.

Die Beklagte bewilligte dem Kläger mit Bescheid vom 16. April 2010 für die Zeit vom 1. April 2010 bis 30. Juni 2010 Alg für 540 Kalendertage in Höhe eines täglichen Leistungsbetrages von 54,63 € und vom 1. Juli 2010 bis 30. September 2011 in Höhe von 48,92 € täglich mangels steuerlicher Berücksichtigung des 1984 geborenen Kindes ab diesem Zeitpunkt.

Auf die entsprechende Aufforderung der Beklagten vom 20. Mai 2010 übersandte der Kläger Erklärungen zu selbständiger Tätigkeit, Land- und Forstwirtschaft vom 7. Juni 2010 und 21. Juli 2010 und gab die Höhe seines Nebenverdienstes, die unterschiedlich sei, mit Beträgen zwischen 80 bis 150 € monatlich an.

Mit Bescheid vom 15. November 2010 hob die Beklagte die Entscheidung über die Bewilligung von Alg ab 14. November 2010 wegen Ortsabwesenheit des Klägers von mehr als sechs Wochen auf.

Mit Bescheid vom 22. November 2010 wies sie für den Kläger vom 14. bis 21. November 2010 einen Leistungsanspruch in Höhe von 0,00 € wegen Ortsabwesenheit aus und bewilligte ihm vom 22. November 2010 bis 8. Oktober 2011 Alg in Höhe von 48,92 € täglich (Lohnsteuerklasse I) nach einem Bemessungsentgelt von 142,96 € täglich.

Aufforderungsgemäß (Schreiben der Beklagten vom 2. Dezember 2010) reichte der Kläger am 22. Dezember 2010 Einkommensunterlagen über seine Nebentätigkeiten ein und teilte der Beklagten mit, der Taxibetrieb, den er wegen der befristeten Arbeitsverträge zur Sicherheit weiter geführt hätte, sei seit 2009 ein Verlustgeschäft. Der Erklärung zur selbständigen Tätigkeit u.a. vom 22. Dezember 2010 fügte er die Einnahmen-Überschuss-Rechnung für 2009 sowie Belege über Einnahmen und Ausgaben von April 2010 bis November 2010 bei.

Mit Bescheid vom 5. Januar 2011 hob die Beklagte gemäß § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz -(SGB X) die Leistungsbewilligungen ab 1. April 2010 teilweise wegen Anrechnung von Nebeneinkommen auf. Mit einem weiteren Bescheid vom 5. Januar 2011 forderte sie vom Kläger die Erstattung von in der Zeit vom 1. April bis 30. November 2010 überzahltem Alg in Höhe von insgesamt 2.666,60 €.

Die gegen beide Bescheide erhobenen Widersprüche wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28. Januar 2011 zurück. Zwar übe der Kläger beide selbständigen Tätigkeiten bereits seit 2006 aus, jedoch weise die Einnahme-Überschuss-Rechnung für 2009 einen Verlust auf, so dass sich hieraus kein höherer Freibetrag als die jeweils berücksichtigten 165 EUR ergäbe.

Im Zuge der am 22. Februar 2011 vom ...

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