Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Berufungszulassung. Tatsachenfrage. Arbeitslosengeld II. Minderung der Unterkunfts- und Heizkosten. Betriebs- und Heizkostenguthaben. Zeitpunkt des Zuflusses. tatsächliche Verfügungsgewalt. bereite Mittel. Gutschrift auf dem Vermieterkonto. Direktzahlung der Miete durch den Grundsicherungsträger
Leitsatz (amtlich)
1. Die Frage, wann ein Nebenkostenguthaben zugeflossen ist, ist keine Rechtsfrage, sondern eine durch Beweiswürdigung zu entscheidende Tatsachenfrage.
2. Die rechtlichen Grundlagen dieser Bewertung sind geklärt. Im Grundsatz bereite Mittel stehen zur Bedarfsdeckung nur dann nicht zur Verfügung, wenn sie aus Rechtsgründen überhaupt nicht oder nicht ohne Weiteres realisiert werden können (vgl BSG vom 16.5.2012 - B 4 AS 132/11 R = SozR 4-4200 § 22 Nr 60).
3. Zahlt das Jobcenter die Miete direkt an den Vermieter, erscheint die Annahme des Zuflusses mit der Gutschrift auf dem Vermieterkonto besonders geeignet, den Sinn und Zweck der Vorschrift des § 22 Abs 3 SGB II in die Praxis umzusetzen.
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 17. September 2019 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten der Klägerin zu 1 sind nicht zu erstatten. Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Kläger zu 2 und 3 auch für das Berufungsverfahren.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Begehrt wird die Aufhebung eines Aufhebungs- und Erstattungsbescheides, mit dem der Beklagte einen Betrag von 43,59 Euro zurückfordert. Streitig ist dabei, ob ein Guthaben aus einer Nebenkostenabrechnung auf Grundsicherungsleistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) zu Recht im Monat Februar 2016 angerechnet worden ist.
Die Klägerin zu 1 ist die alleinerziehende Mutter der 2000 geborenen Klägerin zu 2 und des 1998 geborenen Klägers zu 3. Sie leben gemeinsam unter der im Rubrum genannten Adresse. Die Bruttowarmmiete für die Wohnung betrug 547,76 Euro (Grundmiete 266 Euro, Heizkostenvorauszahlung 135,02 Euro, Betriebskostenvorauszahlung 146,74 Euro) und wurde direkt vom Beklagten an die Vermieterin überwiesen.
Auf den Weiterbewilligungsantrag vom 1. Dezember 2015 gewährte der Beklagte mit Bewilligungsbescheid vom selben Tage den Klägern Grundsicherungsleistungen für die Zeit vom 1. Dezember 2015 bis 31. Mai 2016. Für den Monat Februar 2016 bewilligte der Beklagte insgesamt 1.464,06 Euro und berücksichtigte dabei Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Mietkosten (547,80 Euro).
Mit Schreiben vom 11. Dezember 2015 erhielt die Klägerin zu 1 von ihrer Vermieterin eine Nebenkostenabrechnung für das Jahr 2014. Danach stand ihr ein Guthaben in Höhe von 174,35 Euro zu. U.a. heißt es in dem Schreiben: „Guthaben werden nur ausgezahlt, wenn Ihr Mietkonto keinen Rückstand aufweist, andernfalls erklären wir hiermit vorsorglich die Aufrechnung. Sofern Sie Leistungen vom JobCenter o.ä. erhalten, ist zusätzlich die Vorlage einer Freigabe des entsprechenden Amtes notwendig…Zur Überweisung von Guthaben benötigen wir Ihre aktuelle Kontoverbindung… Für den Fall, dass die Miete von einer Behörde geleistet wird, ist die Abrechnung bitte unverzüglich dort vorzulegen.“ Darüber hinaus war dem Schreiben ein Zahlungsplan für die zu zahlenden Mieten für die Monate Januar, Februar und März 2016 beigefügt, wobei für die Februarmiete wegen zunächst beabsichtigter Verrechnung des Guthabens einmalig ein Betrag nur von 373,71 Euro (547,76 Euro abzüglich 174,35 Euro) ausgewiesen wird („Anlage 4“).
Nach Aufforderungen des Beklagten (Schreiben vom 2. und 24. Mai 2016), der die Miete durchgehend in Höhe von 547,80 Euro an die Vermieterin überwiesen hatte, legte ihm die Klägerin zu 1 die Betriebs- und Heizkostenabrechnung im Mai 2016 vor sowie - zum Nachweis über den Erhalt des Guthabens aus der Betriebs- und Heizkostenabrechnung - einen Mietkontoauszug (Kontostand 1. Juni 2016), der für den 31. Januar 2016 einen (Saldo-)Betrag von 174,35 Euro auf der Habenseite des Kontos ohne (auch spätere) Verrechnung mit Mietzahlungen ausweist.
Nach Anhörung hob der Beklagte mit Aufhebungs- und Erstattungsbescheiden vom 13. September 2016 den Bewilligungsbescheid vom 1. Dezember 2015 für die Zeit vom 1. bis 29. Februar 2016 gegenüber den Klägerinnen zu 1 und 2 sowie dem Kläger zu 3 jeweils in Höhe von 43,59 Euro auf, eine Aufhebung gegenüber einem dritten Kind erfolgte nicht. Die hiergegen gerichteten Widersprüche wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 19. Dezember 2016 zurück. Die Gutschrift in Höhe von 174,35 Euro sei am 31. Januar 2016 auf das Mietkonto erfolgt. Leistungsrechtlich sei das Guthaben daher im Monat Februar 2016 zu berücksichtigen. Es komme nicht darauf, ob das Guthaben tatsächlich oder später ausgezahlt worden sei. Da nur die tatsächlichen Kosten der Unterkunft zuständen, hätten die Kläger wissen können, dass Leistungen in der bewilligten Höhe nicht zugestanden haben.
Am 18. Januar 2017 haben die Kläger Klage ...