Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Rentenversicherung. Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit. Einstufung einer Damenmaßschneiderin in das Mehrstufenschema. Verweisbarkeit auf Bürohilfstätigkeiten in der öffentlichen Verwaltung. Registrator. Mitarbeiter in der Poststelle. Telefonistin
Orientierungssatz
1. Zur Feststellung der Verweisungsmöglichkeiten auf andere Tätigkeiten gemäß § 240 Abs. 2 S. 2 SGB VI sind in der Rechtsprechung des BSG die Arbeiter- und Angestelltenberufe in Gruppen eingeteilt worden (Mehrstufenschema). Sozial zumutbar ist grundsätzlich die Verweisung auf eine Tätigkeit, die als eine Stufe unter der Stufe, welcher der bisherige Beruf zugehörig ist, einzuordnen ist.
2. Eine gelernte Damenmaßschneiderin ist in den Bereich der Facharbeiter einzuordnen.
3. Ein Facharbeiter, der über keinerlei Erfahrungen im Umgang mit Personalcomputern bzw mit bürotechnischen Tätigkeiten verfügt, kann auf Tätigkeiten als Registrator bzw Poststellenmitarbeiter in öffentlichen Verwaltungen nach BAT VIII nicht verwiesen werden.
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 23. Mai 2006 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin auch die ihr im Berufungsverfahren entstandenen Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist (noch) die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit streitig.
Die 1948 geborene Klägerin lebt getrennt; sie hat einen erwachsenen Sohn. Nach Abschluss der Schule im Sommer 1965 begann die Klägerin am 1. September 1965 eine Ausbildung zur Damenmaßschneiderin, die sie am 18. August 1967 mit Bestehen der Facharbeiterprüfung erfolgreich abschloss. Bis zum 31. Oktober 1993 war sie in ihrem erlernten Beruf tätig, seit September 1969 bei der Maß- und Bühnenkleidung F GmbH in B. Vom 15. November 1994 bis zum 30. November 1996 und nochmals vom 15. Juli 1998 bis zum 14. Juli 2000 war sie im Rahmen von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen als Schneiderin beschäftigt. Seitdem ist sie nicht mehr erwerbstätig gewesen. Seit dem 13. Mai 2003 ist die Klägerin krank geschrieben.
Die Klägerin ist als Schwerbehinderte anerkannt; der Grad der Behinderung ist seit Dezember 2003 mit 50 festgestellt.
Am 18. November 2003 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Zu den Fragen, seit wann und wegen welcher Gesundheitsstörungen sie sich für erwerbsgemindert halte und welche Arbeiten sie ihrer Auffassung nach noch verrichten könne, machte sie keine Angaben.
Im Verwaltungsverfahren lagen der Beklagten folgende medizinische Unterlagen vor: Ein Arztbrief des M-Krankenhauses, Chirurgische Klinik, Allgemein- und Visceralchirurgie, vom 19. März 2003 (Teilepikrise), Berichte der Allgemeinmedizinerin H an den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) vom 26. Mai 2003 und vom 17. Juni 2003, ein Bericht des Neurologen und Psychiaters W an den MDK vom 14. Juli 2003, von Prof. Dr. K für den MDK erstellte neurologisch-psychiatrische Gutachten vom 13. Oktober 2003 und vom 20. November 2003 (beide aufgrund Untersuchung) mit Nachtrag vom 25. November 2003, ein Schreiben des behandelnden Neurologen und Psychiaters W an die Krankenversicherung der Klägerin vom 28. November 2003, ein von der Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Sozialmedizin R aufgrund einer Untersuchung der Klägerin am 5. Januar 2004 für den MDK erstelltes Gutachten.
Die Beklagte ließ die Klägerin von der Internistin Dr. C untersuchen. Diese erstellte unter dem 20. Januar 2004 ein Gutachten, in welchem es heißt, bei der Klägerin bestünden der Verdacht auf ein depressives Syndrom, ein degeneratives Wirbelsäulensyndrom mit Belastungsschmerz sowie ein Zustand nach Schilddrüsenoperation bei Struma colli. Im Vordergrund der geschilderten Beschwerden stünden die psychischen Probleme. Die Klägerin habe angegeben, unter Unruhezuständen, Panikattacken und Depressionen zu leiden. Sie sei im Alltag, insbesondere bei der Bewältigung von Wegstrecken und in öffentlichen Räumen auf die Begleitung ihres Sohnes angewiesen. Seit August 2003 befinde sie sich in neurologisch-psychiatrischer Mitbehandlung; die Therapie erfolge derzeit nur medikamentös. Seitens des Bewegungsapparates bestünden keine gravierenden Einschränkungen; die Beweglichkeit sei lediglich endgradig schmerzhaft eingeschränkt. Seit der Schilddrüsenoperation erfolge eine hormonelle Substitution. Hinsichtlich der letzten beruflichen Tätigkeit als Maßschneiderin schätzte die Gutachterin das Leistungsvermögen der Klägerin als auf drei bis unter sechs Stunden täglich reduziert ein; eine Besserung sei unwahrscheinlich. Die Klägerin könne aber, so führte die Sachverständige aus, leichte bis mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes in überwiegend stehender, gehender oder sitzender Haltung unter Vermeidung von Nachtschicht und ohne wirbelsäulenbelastende Tätigkeiten, insbesondere Zwangshaltungen, sechs Stunden und mehr tägli...