Entscheidungsstichwort (Thema)
Erbenersatz. Miterben. Gesamtschuld. Verjährung. gestörter Gesamtschuldnerausgleich. Entreicherung. Gesamtschuldnerische Haftung im Rahmen der Erbenersatzforderung gem. § 35 SGB II. Kein anteiliges Erlöschen der Kostenersatzforderung gegenüber der Behörde bei Erlöschen des Anspruchs der Behörde gegenüber dem Miterben. Kein Einwand der Entreicherung
Leitsatz (redaktionell)
1. Bei der Pflicht zum Erbenersatz gem. § 35 SGB II handelt es sich um eine Nachlassverbindlichkeit i.S.v. § 1967 Abs. 2 BGB. Bei gemeinschaftlichen Nachlassverbindlichkeiten haften die Erben als Gesamtschuldner mit der Folge, dass ein Erbe in Höhe der gesamten Forderung in Anspruch genommen werden kann. Die Behörde hat die Auswahl unter mehreren Gesamtschuldnern nach pflichtgemäßem Ermessen vorzunehmen. Diesem sind grundsätzlich weite, nur durch das Verbot der Willkür und Unbilligkeit gesetzte Grenzen gezogen.
2. Der Pflicht zum Erbenersatz steht nicht das Erlöschen des Anspruchs nach § 35 Abs. 3 S. 1 SGB II zugunsten eines Miterben entgegen. § 35 Abs. 3 S. 1 SGB II begründet keine Haftungsfreistellung im Sinn der Rechtsprechung zum gestörten Gesamtschuldnerausgleich.
3. Der Einwand der Entreicherung kann im Rahmen des § 35 Abs. 1 S. 3 SGB II nicht erhoben werden.
Normenkette
SGB II § 35 Abs. 1 S. 3, Abs. 3 S. 1; BGB § 426 Abs. 1
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 14. Mai 2011 wird zurückgewiesen.
Der Klägerin werden auch die Kosten des Berufungsverfahrens auferlegt, mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin wehrt sich mit ihrer Klage gegen eine Erbenersatzforderung des Beklagten, und zwar mit der Berufung nur noch insoweit, als die Forderung den auf sie als gemeinschaftliche Miterbin entfallenden Anteil übersteigt.
Die 1967 geborene Klägerin und ihr Bruder, der 1975 geborene Beigeladene, wurden ausweislich des gemeinschaftlichen Erbscheins des Amtsgerichts H vom 21. Dezember 2006 - - je zur Hälfte Erben des Nachlasses ihres Vaters, des 1946 geborenen und nach der Sterbeurkunde vom 30. November 2006 zwischen dem 23. Oktober 2006 und dem 13. November 2006 verstorbenen Leistungsempfängers H M. Jener erhielt in der Zeit vom 1. Januar 2005 bis zum 30. November 2006 vom Beklagten Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende in einer Gesamthöhe von 11.918,04 EUR.
Die Klägerin, eine alleinerziehende Mutter von zwei Kindern, die ihren Lebensunterhalt und den ihrer Kinder seinerzeit mit einem monatlichen Nettoeinkommen von ca. 845 EUR bestritt, später selbständig tätig war mit einem Nettoeinkommen von etwa 800 EUR und die mit ihrem Vater seit langer Zeit keinen Kontakt mehr gehabt hatte, zeigte dem Beklagten am 13. Dezember 2006 an, dass ihr Vater verstorben war. Im Hinblick auf die Fortzahlung der Leistungen für Dezember 2006 zahlte sie dem Beklagten auf dessen Schreiben vom 1. Februar 2007 einen Betrag in Höhe von 522,65 EUR zurück.
Mit zwei gleichlautenden Schreiben vom 18. Juli 2007 erbat der Beklagte von der Klägerin und vom Beigeladenen Auskunft zur Höhe des Nachlasses, um einen eventuellen Ersatzanspruch prüfen zu können. Die Klägerin überreichte dem Beklagten am 23. Juli 2007 ein Nachlassprotokoll und bezifferte den Nachlass insgesamt auf 26.012,83 EUR sowie die hiervon getätigten Ausgaben auf 4.637,30 EUR.
Mit Bescheid vom 26. Juli 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Juni 2008 machte der Beklagte der Klägerin gegenüber eine Erbenersatzforderung in Höhe von 11.918,04 EUR geltend und führte zur Begründung im Wesentlichen aus: Der Nachlass hätte insgesamt 25.013,77 EUR umfasst (5.886,90 EUR aus einem Girokontoguthaben, 15.797 EUR aus einem Sparguthaben und 3.329,53 EUR aus Wertpapieren). Nach Abzug aller Nachlassverbindlichkeiten seien dem Nachlass 19.852,26 EUR verblieben. Die Klägerin sei als Erbin und Gesamtschuldnerin zum Ersatz der gesamten Leistungen - ohne dass ein Freibetrag in Höhe von 1.700 EUR anzusetzen wäre - verpflichtet, da der Nachlasswert den Gesamtleistungsbetrag übersteige.
Die Klägerin hat am 7. Juli 2008 vor dem Sozialgericht Berlin Klage erhoben und geltend gemacht, sie könne sich auf Vertrauensschutz berufen, nachdem auf ihre telefonischen Nachfragen beim Beklagten, mit welchen Forderungen sie zu rechnen hätte, nur der Bescheid vom 1. Februar 2007 ergangen sei. Die Erbenhaftung verstoße gegen ihr grundrechtlich geschütztes Erbrecht. Ferner sei ein Freibetrag in Höhe von 1.700 EUR abzusetzen.
Mit Bescheid vom 13. November 2008 hat der Beklagte den angefochtenen Bescheid dahingehend geändert, dass er die Forderung um 1.700 EUR auf 10.218,04 EUR gemindert hat.
Mit Schreiben vom 1. Februar 2011 hat er die Klägerin zu der Kostenersatzforderung in Höhe von 10.218,04 EUR angehört und mit Schreiben vom 16. März 2011 mitgeteilt, dass er auch in Kenntnis der Stellungnahme der Klägerin vom 15. Februar 2011 zu der Anhörung an dem angefochtenen Bes...