Entscheidungsstichwort (Thema)

Impfschaden nach Pertussis-Impfung. Epilepsie. Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Anhaltspunkte. medizinischer Erkenntnisstand

 

Orientierungssatz

Zur Anerkennung einer zumindest über weite Strecken therapieresistenten Epilepsie verbunden mit anfallsbedingten sekundären Schäden insbesondere im intellektuellen und motorischen Bereich als Impfschaden nach Pertussis-Impfung.

 

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 26. September 2003 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin wegen eines Impfschadens Anspruch auf Versorgung hat.

Die 1994 geborene Klägerin wurde am 5. April 1995 mit dem Impfstoff “Pertuvac®„, einem Ganzkeim-Impfstoff gegen Keuchhusten, geimpft. In der Folgezeit manifestierte sich bei ihr eine frühkindliche Grand-mal-Epilepsie. Aufgrund dieses “cerebralen Anfallsleidens mit Entwicklungsrückstand„ ist der Klägerin seit September 1996 ein Grad der Behinderung von 100 zuerkannt worden, weiter wurde u. a. das Vorliegen der Voraussetzungen der Merkzeichen “aG„ (außergewöhnliche Gehbehinderung), “H„ (Hilflosigkeit) und “ RF„ (Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht) anerkannt.

Die Klägerin wurde nach der Impfung am 20. oder jedenfalls am 26. April 1995 ihrem behandelnden Arzt für Kinderheilkunde Dr. R sowie am 28. April 1995 im -Klinikum vorgestellt; hier erfolgte eine EEG-Untersuchung. In der Zeit vom 4. bis 11. Mai 1995 befand sich die Klägerin in stationärer Behandlung im -Klinikum, R-Krankenhaus. Im Entlassungsbericht vom 21. Juli 1995 ist zum Aufnahmebefund ausgeführt, dass es sich bei der Klägerin um einen altersgerecht entwickelten 4 Monate alten weiblichen Säugling gehandelt habe, die stationäre Aufnahme sei nach 8 krampfverdächtigen Zuständen mit starrer Blickwendung, Fäustelung und fraglichen Kloni der Beine innerhalb der letzten 4 Wochen erfolgt. In der Zeit vom 16. bis 18. Juli 1995 wurde die Klägerin im selben Krankenhaus wegen einer Pharyngitis behandelt. Hier ist im Entlassungsbericht vom 15. August 1995 zur Anamnese beschrieben, dass bei der Klägerin “im Mai 1995 fünf Tage nach einer Pertussis-Impfung ein Krampfanfall ohne Fieber aus dem Schlaf heraus„ aufgetreten sei. In der Zeit vom 27. Oktober bis 3. November 1995 wurde die Klägerin im -Klinikum W, Frauen- und Kinderklinik P, behandelt. Im Entlassungsbericht vom 15. Dezember 1995 ist beschrieben, dass trotz antikonvulsiver Therapie in den letzten drei Monaten einmal pro Woche Grand-mal-ähnliche Anfälle aufgetreten seien, in den letzten drei Tagen hätten die Eltern bis zum 2 Krampfanfälle täglich beobachtet. Die stationäre Aufnahme sei zur medikamentösen Neueinstellung erfolgt. In der Zeit vom 8. bis 24. Dezember 1995 wurde die Klägerin erneut im -Klinikum W stationär behandelt. Zur Diagnose ist im Entlassungsbericht vom 29. Februar 1996 aufgeführt: “Frühkindliche Grand-mal-Epilepsie, nicht-konvulsiver Status epilepticus, akute Enzephalopathie, Rota-Virus-Infektion„. Die Klägerin habe seit 4 Tagen wieder vermehrt Anfälle, zum Teil bis 3 mal täglich entwickelt. Weiterhin sei den Eltern aufgefallen, dass die Klägerin seit 2 Tagen merkwürdig still und auffällig ruhig gewesen sei und oft einen teilnahmslosen Blick gehabt habe. Zudem sei die Sprachproduktion wie Lautieren und Sprechen einzelner Worte sehr zurückgegangen. Eine Reaktion auf akustischen Reiz hätte nicht ausgelöst werden können. Auch motorische Leistungen wie freies Sitzen oder selbständiges Drehen seien nicht mehr möglich gewesen.

Im Oktober 1995 beantragten die Eltern der Klägerin die Gewährung von Leistungen nach dem Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten bei Menschen (Bundes-Seuchengesetz -BSeuchG-) i. V. m. dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Der Beklagte zog die genannten Krankenhausentlassungsberichte bei und holte Auskünfte über die ärztliche Behandlung von Prof. Dr. S (dem im -Krankenhaus sowie später im Klinikum W behandelnden Arzt) und vom behandelnden Kinderarzt Dr. R und sodann ein am 20. Juni 1996 unterzeichnetes Gutachten von den Ärzten Dr. B und Prof. Dr. S vom -Klinikum zur Frage nach einem ursächlichem Zusammenhang zwischen den geltend gemachten gesundheitlichen Schädigungen und der am 5. April 1995 durchgeführten Impfung ein. Im Gutachten ist unter Bezugnahme auf eine Veröffentlichung von Stehr und Heininger 1991 “Zum aktuellen Stand der Keuchhusten-Schutzimpfung„ ausgeführt, dass es bis heute keine Anhaltspunkte für eine Verbindung zwischen vorübergehenden Nebenwirkungen und einem möglichen Dauerschaden gebe. Die Veröffentlichungen von Stehr und Heininger, ein Leserbrief von Prof. Ehrengut hierzu sowie das sich hierauf beziehende Schlusswort von Stehr und Heininger (1991) würden als repräsentativ für die Problematik der Wiederaufnahme der Impfung gelten. Gehe man das Problem rein rechnerisch an, so müsse di...

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