Entscheidungsstichwort (Thema)
Anrechnungszeiten wegen Arbeitslosigkeit. Überbrückungszeit. Pflege eines nahen Angehörigen in der Zeit vor dem 1.1.1992
Orientierungssatz
Zeiten der Pflege eines Angehörigen können sich auch im Rahmen eines Überbrückungstatbestandes (hier: zur Anerkennung einer Anrechnungszeit wegen Arbeitslosigkeit) nicht auf den Zeitraum vor dem 1.1.1992 erstrecken.
Tatbestand
Im Streit ist die Vormerkung von Anrechnungszeiten wegen Arbeitslosigkeit.
Die 1940 geborene Klägerin war in der ehemaligen DDR zuletzt als Verkäuferin beim "HO-B-Industriewaren" beschäftigt. In der Zeit vom 14. August 1989 bis 30. April 1990 ruhte das Arbeitsverhältnis. Versicherungsbeiträge wurden nicht entrichtet. Nach einer Eintragung im Sozialversicherungsausweis der Klägerin bestand "Sozialleistungsanspruch gemäß § 4 der SVO". In der genannten Zeit pflegte die Klägerin nach eigenen Angaben ihren schwerbehinderten Vater, der in B) lebte. Zum 30. April 1990 kündigte sie ihr Arbeitsverhältnis.
Die Klägerin meldete sich am 29. Mai 1990 arbeitslos und bezog laut Bewilligungsbescheid des Amtes für Arbeit P vom 11. Juni 1990 ab 29. Mai 1990 eine staatliche Unterstützung und ab 2. Juli 1990 Arbeitslosengeld bis 2. November 1992, unterbrochen durch einen Krankengeldbezug vom 1. September 1992 bis 4. September 1992.
Der Antrag der Klägerin auf anschließende Arbeitslosenhilfe wurde durch Bescheid des Arbeitsamtes VII vom 5. November 1992 abgelehnt, da das Einkommen des Ehegatten die Bedürftigkeit ausschloß. Ein erneuter Antrag auf Arbeitslosenhilfe nach dem Tode des Ehegatten am 9. November 1995 wurde abgelehnt, weil die Jahresfrist seit Einstellung des Arbeitslosengeldes bei der Antragstellung abgelaufen war.
Am 7. März 1996 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Kontenklärung. Durch Bescheid vom 5. August 1996 stellte die Beklagte die anrechenbaren Versicherungszeiten fest und lehnte dabei die Zeit vom 29. Mai 1990 bis 30. Juni 1990 und vom 1. November 1992 bis 5. März 1996 als Anrechnungszeit ab, weil eine versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit nicht unterbrochen worden sei. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 28. November 1996).
Im anschließenden Klageverfahren hat das Sozialgericht durch Urteil vom 27. Februar 1998 die angefochtenen Bescheide abgeändert und die Beklagte verurteilt. die Zeiträume vom 29. Mai 1990 bis 30. Juni 1990 und 1. November 1992 bis 9. November 1995 als Anrechnungszeit wegen Arbeitslosigkeit zu berücksichtigen. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zwar sei in dem ruhenden Arbeitsverhältnis von August 1989 bis zur Kündigung am 30. April 1990 keine versicherungspflichtige Beschäftigung im Sinne von § 58 Abs. 2 Sozialgesetzbuch, 6. Buch -SGB VI- zu sehen, denn während dieser Zeit habe keine Versicherungspflicht bestanden. Die Arbeitslosigkeit ab 29. Mai 1990 habe dennoch ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis unterbrochen, weil die Zeit vom 14. August 1989 bis 30. April 1990 als Überbrückungstatbestand anzusehen sei Es habe sich um eine Zeit der nicht erwerbsmäßigen Pflege im Sinne des § 3 Satz 1 Nr. 1 a SGB VI gehandelt, die als Überbrückungszeit gewertet werden müsse. Dabei sei es unerheblich, daß § 3 Satz 1 Nr. 1 a SGB VI erst am 1. April 1995, d.h. nach Ausübung der Pflegetätigkeit durch die Klägerin in Kraft getreten sei. Der Gesetzgeber habe mit der Schaffung des § 3 Satz 1 Nr. 1 a SGB VI erkennen lassen, daß er eine nicht erwerbsmäßige häusliche Pflegetätigkeit von wenigstens 14 Stunden wöchentlich als Tatbestand ansehe, der den Versicherten aufgrund eines nicht von ihm zu vertretenden Arbeitsschicksals an der Leistung weiterer Pflichtbeiträge hindere. Damit sei jedoch der Tatbestand der Überbrückungszeit erfüllt. Die Berücksichtigung einer Anrechnungszeit wegen Arbeitslosigkeit nach dem 9. November 1995 könne jedoch nicht verlangt werden, weil es in dieser Zeit an dem Bezug einer öffentlich-rechtlichen Leistung bzw. dem Nichtbezug einer solchen Leistung wegen zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens gefehlt habe. Nach dem Ableben ihres Ehemannes sei die Versagung von Arbeitslosenhilfe nicht wegen der Anrechnung von Einkommen oder Vermögen erfolgt, sondern wegen des Ablaufes der Jahresfrist des § 134 Abs. 1 Nr. 4 Arbeitsförderungsgesetz (AFG).
Gegen das der Beklagten am 16. April 1998 zugestellte Urteil richtet sich die am 15. Mai 1998 eingegangene Berufung der Beklagten. Sie meint, der Zeitraum von August 1989 bis Mai 1990, während dessen die Versicherte ihren Vater gepflegt habe, könne nicht als "unschädlicher Überbrückungstatbestand" zur Erfüllung des § 58 Abs. 2 SGB VI angesehen werden. Als Überbrückungstatbestände könnten nur solche Zeiten angesehen werden, die ihrerseits im Einklang mit dem Sinn und Zweck der Anrechnungszeitenregelung in § 58 SGB VI stünden bzw. rentenrechtliche Zeiten seien. Demzufolge zählten zwar auch Zeiten wegen Pflege als Überbrückungstatbestände, jedoch nur soweit sie auch rentenrechtliche Zeiten darst...