Entscheidungsstichwort (Thema)
Verletztengeld. Berechnung. Begrenzung. Nettoarbeitsentgelt. Seeleute
Leitsatz (amtlich)
1. Bei der Berechnung des Regelentgelts ist von der Durchschnittsheuer iS von § 47 Abs 4 S 1 SGB 5 auszugehen.
2. Auch bei Seeleuten ist die Leistung auf das Nettoarbeitsentgelt zu begrenzen; Schwankungen des Einkommens werden in ausreichendem Maße durch die Dauer des Abrechnungszeitraums (§ 47 Abs 2 SGB 5) ausgeglichen.
3. Damit ist zwar nicht in jedem Einzelfall, insgesamt aber in der Gruppe der Seeleute die Äquivalenz zwischen Beitragsleistung und Höhe der kurzfristigen Lohnersatzleistung sichergestellt.
Orientierungssatz
Die Begrenzung des Verletztengeldes auf das Nettoarbeitsentgelt gemäß § 47 Abs 1 S 2 SGB 5 gilt auch für Seeleute. Von dieser Begrenzung ist auch nicht aus verfassungsrechtlichen Gründen abzusehen.
Nachgehend
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Verletztengeldes streitig.
Der 1953 geborene Kläger ist von Beruf Schiffsmechaniker. Am 26. Dezember 1992 erlitt er einen Arbeitsunfall, der zu Arbeitsunfähigkeit zunächst bis zum 24. März 1993 und erneut in der Zeit vom 14. Juni bis 3. Dezember 1993 führte. Gegenüber der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) B./B. gab die Heuerabrechnungsfirma G S & Co. (GmbH + Co.) eine Verdienstbescheinigung vom 4. Februar 1993 ab. Darin ist angegeben, daß die Durchschnittsheuer nach der Beitragsübersicht der Beklagten DM 5 205,00 und das Nettoentgelt einschließlich Sachbezüge aus dem letzten abgerechneten Lohnabrechnungszeitraum vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit, gezahlt für die Zeit vom 7. bis 31. Dezember 1992, DM 2 465,40 betrug. Auf der Grundlage dieser Verdienstbescheinigung berechnete und zahlte die AOK Bremen/Bremerhaven nach Beendigung des Lohnfortzahlungszeitraums ab 7. Februar 1993 Verletztengeld. Im Anschluß an ein Widerspruchsschreiben des Klägers vom 29. März 1993 erteilte die AOK einen schriftlichen Bescheid vom 22. April 1993 über die "Krankengeld" genannte Leistung. Sie führte darin aus, daß 80 % der täglichen Durchschnittsheuer DM 138,80 betrügen. Dieser Betrag müsse mit dem Nettoarbeitsentgelt verglichen werden, welches DM 98,62 täglich betragen habe. Abzüglich der Beitragsanteile zur Renten- und Arbeitslosenversicherung in Höhe von DM 8,63 und DM 3,21 ergebe sich ein Netto-Zahlbetrag von DM 86,78.
Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch und führte aus, daß sich das Krankengeld für Seeleute nicht nach dem letzten Arbeitsentgelt, sondern nach den beitragspflichtigen Einnahmen der Seeleute, d.h. der Durchschnittsheuer, richte. Damit werde vermieden, daß die besonders starken kurzfristigen Schwankungen der Einkünfte die Höhe des Krankengeldes bestimmten. Unter dem 16. August 1993 erweiterte der Kläger seinen Widerspruch auf die Krankengeldberechnung für die Arbeitsunfähigkeitszeit ab 14. Juni 1993. Im Hinblick auf diese Arbeitsunfähigkeitszeit gab die Firma F. A. V & Co. (GmbH u. Co.) eine Verdienstbescheinigung vom 2. Juli 1993 ab. Danach betrug die Durchschnittsheuer im Mai 1993 DM 5 388,00, das Nettoentgelt für die Zeit vom 1. bis 31. Mai 1993 DM 3 176,49. Dem Kläger ist für diesen Zeitraum Verletztengeld in Höhe von DM 93,18 täglich gezahlt worden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 11. April 1994 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Sie führte aus, daß die Begrenzung des Verletztengeldes auf das Nettoentgelt nur für solche Versicherten nicht gelte, die nicht Arbeitnehmer seien; der Kläger sei aber Arbeitnehmer.
Der Kläger hat am 21. April 1994 Klage beim Sozialgericht (SG) Bremen erhoben und seinen Anspruch auf höheres Verletztengeld, d.h. ohne Begrenzung auf das Nettoentgelt, weiterverfolgt. Zur Begründung hat der Kläger ausgeführt, daß Verletztengeld und Krankengeld für Seeleute ausschließlich nach dem Regelentgelt im Sinne der Durchschnittsheuer zu berechnen seien, um die in diesem Beruf besonders hohen kurzfristigen Schwankungen der Einkünfte für die Höhe der Leistung unberücksichtigt zu lassen. Die Sondervorschrift des § 47 Abs. 4 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) würde ihren Sinn verlieren, wenn trotz dieses Ausgangspunktes letztlich doch wieder das zufällig erzielte letzte Nettoarbeitsentgelt als Maßstab genommen würde. Der gesetzgeberische Grund für die Sondervorschrift für Seeleute sei auch darin zu sehen, daß gerade Seeleute oft gezwungen seien, untertarifliche Billigheuern im Rahmen der Zweitregisterregelung in Kauf zu nehmen; den Seeleuten solle durch diese Zwänge jedoch nicht die soziale Absicherung im Falle von Krankheit oder Unfall genommen werden.
Die Beklagte hat demgegenüber ausgeführt, daß für Seeleute lediglich als Regelentgelt die Durchschnittsheuer heranzuziehen sei. Weitere Besonderheiten gälten jedoch nicht. Es sei kein Grund ersichtlich, Seeleute insoweit anders zu behandeln als andere Arbeitnehmer.
Das SG Bremen hat die Klage mit Urteil vom 30. Mai 1995 abgewiesen und zur Begründung im wesent...