Entscheidungsstichwort (Thema)
Unfallversicherung. Verletztengeld. Begrenzung. Geltung. Seeleute
Leitsatz (amtlich)
Die Begrenzung auf das Nettoarbeitsentgelt bei aus dem Arbeitsentgelt berechneten Verletztengeld gilt auch für Seeleute.
Stand: 24. Oktober 2002
Normenkette
RVO § 560 Abs. 1 S. 1, § 561 Abs. 1 S. 1, §§ 842, 844; SGB V § 47 Abs. 1 S. 2, Abs. 4 S. 1, Abs. 1 S. 3
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Bremen vom 25. April 1996 wird zurückgewiesen.
Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten über die Höhe des Verletztengeldes.
Der Kläger erlitt am 26. Dezember 1992 als Schiffsmechaniker einen Arbeitsunfall, wegen dessen Folgen er zunächst bis 24. März 1993 und dann erneut in der Zeit vom 14. Juni 1993 bis 3. Dezember 1993 arbeitsunfähig erkrankt war.
Nach der Verdienstbescheinigung vom 4. Februar 1993 belief sich seine Durchschnittsheuer entsprechend der Beitragsübersicht der Beklagten auf 5.205,00 DM und das Nettoentgelt einschließlich der Sachbezüge für die Zeit vom 7. bis 31. Dezember 1992 auf 2.465,40 DM. Gestützt auf diese Verdienstbescheinigung berechnete und zahlte die AOK B. /B. … im Auftrag der Beklagten dem Kläger nach Beendigung des Lohnfortzahlungszeitraumes ab dem 7. Februar 1993 für die Zeit der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit Verletztengeld. Gegen die Berechnung des Verletztengeldes wandte sich der Kläger. Die AOK B. … /B. … erteilte daraufhin am 22. April 1993 einen förmlichen Bescheid über die Leistung: Ihre Berechnung erfolge aufgrund von 80% der tariflichen Durchschnittsheuer (138,80 DM), verglichen mit dem erzielten täglichen Nettoarbeitsentgelt inkl Sachbezügen (98,62 DM), abzüglich der Beitragsanteile des Versicherten zur Renten- (8,63 DM) und Arbeitslosenversicherung (3,21 DM). Daraus ergebe sich ein Nettozahlbetrag von 86,78 DM. In dem dagegen erhobenen Widerspruch machte der Kläger geltend, die Berechnung der Leistung unter Beschränkung auf das Nettoarbeitsentgelt sei rechtswidrig.
Diesen Rechtsbehelf bezog er auch auf die Verletztengeldzahlung für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit vom 14. Juni bis 3. Dezember 1993 in Höhe von täglich 93,18 DM, weil die Leistung nach der gleichen Methode aufgrund einer Verdienstbescheinigung vom 2. Juli 1993 erfolgt sei. Danach betrug die Durchschnittsheuer im Mai 1993 5.388,00 DM; das Nettoarbeitsentgelt für die Zeit vom 1. bis 31. Mai 1993 belief sich auf 3.176,49 DM. Die Rechtsbehelfe des Klägers gegen die Berechnung des Verletztengeldes blieben erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 11. April 1994).
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 30. Mai 1995). Die Berechnungsweise des Verletztengeldes bei einer Begrenzung auf das Nettoarbeitsentgelt gemäß § 47 Abs 1 Satz 2 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V) durch die Beklagte sei nicht zu beanstanden. Die Begrenzung des Verletztengeldes auf das letzte Nettoarbeitsentgelt gelte auch für Seeleute, die ebenfalls Arbeitnehmer seien. Ausnahmen bestünden nur für Personengruppen, die entweder nicht Arbeitnehmer seien oder bei denen ein sonst übliches Arbeitsentgelt nicht zugrunde gelegt werden könnte. Kurzfristige Schwankungen im Einkommen würden dadurch ausgeglichen, daß als Regelentgelt iS des § 47 Abs 1 Satz 1 SGB V für Seeleute die beitragspflichtigen Einnahmen nach § 233 Abs 1 SGB V herangezogen würden.
Das Landessozialgericht (LSG) hat die Beklagte unter Abänderung des Urteils des SG sowie der angefochtenen Bescheide verurteilt, dem Kläger Verletztengeld für die Zeit vom 7. Februar bis 24. März 1993 unter Berücksichtigung des sich aus dem Lohnabrechnungszeitraum vom 1. bis 30. November 1992 ergebenden Nettoarbeitsentgeltes zu zahlen. Im übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 25. April 1996). Zur Begründung hat es ausgeführt, daß für die Zahlung des Verletztengeldes in der Zeit vom 7. Februar bis 24. März 1993 nicht das im Monat Dezember 1992 erzielte Entgelt, sondern das Entgelt des Monats November 1992 zugrunde zu legen war. Denn entgegen der Auffassung der Beklagten habe die Heuerabrechnung vom 3. Dezember 1992 nicht die vorletzte, sondern die letzte Abrechnung vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit dargestellt.
Im übrigen hat das LSG die Berufung zurückgewiesen. Nach der Rechtslage seien Seeleute von der Begrenzung des Verletztengeldes auf das Nettoarbeitsentgelt nicht ausgenommen. Die Regelung in § 47 Abs 1 Satz 1 iVm Abs 4 Satz 1 SGB V enthalte nur eine Sonderregelung für die Bestimmung des Regelentgelts, nicht aber hinsichtlich der Begrenzung auf das Nettoarbeitsentgelt. Auch das Verletztengeld für Seeleute berechne sich nach dem Arbeitsentgelt, auch wenn das Durchschnittsentgelt iS des § 47 Abs 4 Satz 1 SGB V zugrunde zu legen sei. Bei den Einkünften des Klägers handele es sich um Einnahmen aus einer unselbständigen Beschäftigung und damit um Arbeitsentgelt iS des § 14 des Vierten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB IV). Auch nach der Gesetzessystematik sei es nicht geboten, Seeleute von der Begrenzung der Lohnersatzleistung auf das Nettoarbeitsentgelt auszunehmen. Zwar sei die Berechnung des Regelentgelts für Seeleute in § 47 Abs 4 SGB V geregelt, wo sich Regelungen auch für Selbständige und Künstler befinden. Diese Regelungen stünden aber in keinem inhaltlichen Zusammenhang, sondern hätten einen unterschiedlichen Regelungsinhalt, je nachdem, ob Arbeitnehmer (Seeleute) oder Nichtarbeitnehmer (Selbständige oder Künstler) angesprochen seien. Es sei einhellige Auffassung in der Literatur, daß die Leistungsbegrenzung auf das Nettoarbeitsentgelt iS von § 47 Abs 1 Satz 2 SGB V nur bei Nichtarbeitnehmern nicht gelte. Ferner sei es auch nach dem Sinne und Zweck der Vorschriften über die Berechnung des Kranken- bzw Verletztengeldes nicht erforderlich, Seeleute anders zu behandeln als andere Arbeitnehmer. Mit der Begrenzung auf das Nettoarbeitsentgelt bezwecke der Gesetzgeber, daß der Versicherte während der Arbeitsunfähigkeit kein höheres Einkommen habe als während der Ausübung seiner Beschäftigung. Es sei nicht zu erkennen, welcher soziale Grund für ein über der Nettoheuer liegendes Kranken- bzw Verletztengeld sprechen sollte. Auch aus verfassungsrechtlicher Sicht dürfe durch die Berechnung der laufenden Lohnersatzleistungen nicht die wirtschaftliche Situation eines Versicherten verzerrt oder gar besser gestellt werden, als er ohne Eintritt des Versicherungsfalls stünde. Zufälligkeiten bei der Leistungsberechnung wegen häufig schwankenden Einkommens bei Seeleuten wirke die in § 47 Abs 2 SGB V enthaltene Regelung in ausreichendem Umfang entgegen. Diese Regelung sei auch bei der Berechnung des Nettoarbeitsentgelts zugrunde zu legen. Von der Begrenzung auf das Nettoarbeitsentgelt sei auch nicht aus verfassungsrechtlichen Gründen abzusehen. Zwar sollte zwischen den entrichteten Beiträgen und der Höhe der Lohnersatzleistung eine Äquivalenz bestehen. Art 3 Abs 1 des Grundgesetzes (GG) verlange nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) jedoch nicht, daß bei der Bemessung kurzfristiger Lohnersatzleistungen eine volle, dh versicherungsmathematische Äquivalenz zwischen Beiträgen und Leistungen bestehe. Das nach § 842 Abs 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) festgesetzte Durchschnittsentgelt beinhalte bereits vom Begriff her, daß das tatsächliche Einkommen der Seeleute sowohl unterhalb als auch oberhalb des Durchschnittsentgelts angesiedelt sein könnte. Damit sei zwar nicht in jedem Einzelfall, insgesamt aber in der Gruppe der Seeleute die Äquivalenz zwischen Beitragsleistung und Höhe der kurzfristigen Lohnersatzleistungen sichergestellt.
Zur Begründung der – vom LSG zugelassenen – Revision führt der Kläger aus, daß entgegen der Ansicht des SG und des LSG das Verletztengeld für Seeleute nicht nach § 47 Abs 1 Satz 2 SGB V auf das Nettoarbeitsentgelt des letzten vierwöchigen Abrechnungszeitraumes zu begrenzen sei. Das Bundessozialgericht (BSG) habe die erhöhte Beitragspflicht für Seeleute gemäß §§ 841 ff RVO nur deshalb nicht als verfassungswidrige Ungleichbehandlung gegenüber anderen Arbeitnehmern angesehen, weil die erhöhten Beiträge auch eine entsprechende Auswirkung auf die Lohnersatzleistungen hätten. Diese Koppelung von Beitragshöhe und Geldleistungshöhe sei auch ohne weiteres allen entsprechenden Leistungsvorschriften immanent. Umgekehrt habe das BVerfG Beitragserhebungen für verfassungswidrig erklärt, die sich nicht auf die kurzfristigen Lohnersatzleistungen auswirkten. § 47 Abs 1 Satz 2 SGB V habe den Sinn, daß der Versicherte im Leistungsfall nicht besser gestellt werden solle, als wenn der Versicherungsfall nicht eingetreten wäre. Die angefochtenen Entscheidungen würden jedoch das Zusammenspiel der Regelungsprinzipien verkennen. Bei der Berechnung des Vergleichsentgelts werde zu Lasten des Seemanns ein anderer Zeitraum herangezogen, als § 842 RVO in bezug auf seine wirtschaftliche Stellung allein für maßgeblich halte. Für § 47 Abs 1 Satz 2 SGB V sei ein ausschnittsweiser Zeitraum herangezogen worden, der der wirtschaftlichen Stellung des Klägers als Seemann in keiner Weise Rechnung trage. Seeleute seien nicht umsonst vom Gesetzgeber in § 47 Abs 4 SGB V zusammen mit Personen erfaßt worden, für die § 47 Abs 1 Satz 2 SGB V nicht gelte. Das Ergebnis der angegriffenen Urteile bedeute, daß der Seemann nicht nur nicht bessergestellt werde als ohne Arbeitsunfall, sondern daß er erheblich schlechter gestellt sein könne. Das Ergebnis hänge von den im Seemannsberuf häufig vorkommenden Zufällen ab. Der Seemann könne auch noch dadurch doppelt benachteiligt sein, daß bei einem niedrigen Entgelt im letzten Abrechnungszeitraum ein verhältnismäßig zu hoher Beitrag abgezogen worden sei, so daß das Nettoarbeitsentgelt, auf das das Krankengeld gekürzt werden solle, infolge dieser höheren Beitragspflicht noch niedriger ausfalle. § 47 Abs 1 Satz 2 SGB V könne für Seeleute allenfalls in dem Sinn herangezogen werden, daß die Lohnersatzleistung die Durchschnittsheuer nicht überschreiten dürfe, nicht jedoch die tatsächlich erzielte Heuer. Die Schlechterstellung des Klägers sei nicht deshalb keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung, weil andere Seeleute besser gestellt sein könnten. Nachdem der Gesetzgeber geregelt habe, daß die Durchschnittsheuer der wirtschaftlichen Situation der Seeleute am besten gerecht werde, sei der Rückgriff auf die letzte Monatsheuer bei der Bemessung von Lohnersatzleistungen nicht zulässig.
Der Kläger beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Bremen vom 25. April 1996 und des Sozialgerichts Bremen vom 30. Mai 1995 aufzuheben, soweit die Berufung als unbegründet zurückgewiesen worden ist, und die Beklagte unter Änderung des Bescheides der AOK B. … -B … vom 22. April 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Beklagten vom 11. April 1994 zu verurteilen, ihm für die Zeiten vom 7. Februar 1993 bis 24. März 1993 und vom 14. Juni 1993 bis 3. Dezember 1993 Verletztengeld ohne Begrenzung auf das Nettoarbeitsentgelt zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung von Verletztengeld für die als solche unstreitigen Zeiten der durch den Arbeitsunfall vom 26. Dezember 1992 bedingten Arbeitsunfähigkeit vom 7. Februar 1993 bis 24. März 1993 und vom 14. Juni 1993 bis 3. Dezember 1993 ohne Begrenzung auf das Nettoarbeitsentgelt. Die Vorinstanzen haben insoweit mit Recht die von der Allgemeinen Ortskrankenkasse im Auftrag der Beklagten gemäß §§ 88 Abs 1 und 2, 89 Abs 1, 2, 90 Satz 2 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches durchgeführte Verletztengeldberechnung und -zahlung bestätigt.
Der Anspruch des Klägers auf Verletztengeld richtet sich auch nach Inkrafttreten des Siebten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VII) am 1. Januar 1997 nach den bis dahin geltenden Vorschriften der RVO; denn nach § 212 SGB VII gilt das neue Recht grundsätzlich für Versicherungsfälle, die nach dem 31. Dezember 1996 eingetreten sind. Ein Ausnahmetatbestand nach den §§ 213 ff SGB VII liegt nicht vor. § 214 Abs 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGB VII, wonach die Vorschriften des ersten und fünften Abschnitts des dritten Kapitels des SGB VII und damit auch die Regelungen über Geldleistungen während der Heilbehandlung (§ 26 iVm §§ 45 bis 48 SGB VII) auch auf alte Versicherungsfälle vor dem 1. Januar 1997 anzuwenden sind, ist im vorliegenden Fall nicht einschlägig, da der Kläger die streitigen Verletztengeldleistungen vor dem Inkrafttreten des SGB VII bereits in Anspruch genommen hat und nach § 214 Abs 1 Satz 2 SGB VII somit die damaligen Vorschriften weitergelten.
Nach § 560 Abs 1 Satz 1 RVO erhält der Verletzte Verletztengeld, solange er – wie hier – infolge des Arbeitsunfalles arbeitsunfähig iS der Krankenversicherung war und keinen Anspruch auf Übergangsgeld nach den §§ 568, 568a Abs 2 oder Abs 3 RVO hat. Über diesen Anspruch dem Grunde nach besteht zwischen den Beteiligten auch kein Streit. Die hier streitige Berechnung des Verletztengeldes richtet sich nach § 561 Abs 1 Satz 1 RVO. Danach gilt für das Verletztengeld bei Arbeitnehmern § 47 Abs 1, 2 und 5 SGB V entsprechend mit der Maßgabe, daß das Regelentgelt bis zu einem Betrag in Höhe des dreihundertsechzigsten Teils des Höchstjahresarbeitsverdienstes (§ 575 Abs 2 RVO) zu berücksichtigen ist. Nach § 47 Abs 1 Satz 1 bis 3 SGB V idF vor dem Inkrafttreten des Beitragsentlastungsgesetzes (BeitrEntlG) vom 1. November 1996 (BGBl I 1631) mit Wirkung vom 1. Januar 1997 (Art 5 1. Halbsatz BeitrEntlG) beträgt das Krankengeld 80 vH des erzielten regelmäßigen Arbeitsentgelts und Arbeitseinkommens, soweit es der Beitragsberechnung unterliegt (Regelentgelt). Das aus dem Arbeitsentgelt berechnete Krankengeld darf das bei entsprechender Anwendung des § 47 Abs 2 SGB V berechnete Nettoarbeitsentgelt nicht übersteigen (§ 47 Abs 1 Satz 2 SGB V). Das Regelentgelt wird nach den Abs 2, 3, 4 und 6 des § 47 SGB V berechnet.
Für Seeleute (§ 13 SGB IV) gelten dabei gemäß § 47 Abs 4 Satz 1 SGB V als Regelentgelt die beitragspflichtigen Einnahmen nach § 233 Abs 1 SGB V. Zwar verweist § 561 Abs 1 Satz 1 RVO nicht unmittelbar auf § 47 Abs 4 Satz 1 SGB V, doch ist diese Vorschrift über den in bezug genommenen § 47 Abs 1 Satz 3 SGB V als Spezialregelung für Seeleute bei der Berechnung des Regelentgelts anzuwenden. Nach § 233 Abs 1 SGB V sind beitragspflichtige Einnahmen der dreißigste Teil des nach § 842 RVO festgesetzten monatlichen Durchschnittsentgelts der einzelnen Klassen der Schiffsbesatzung und Schiffsgattungen sowie der auf den Kalendertag entfallende Teil des Vorruhestandsgeldes. Sie erhöhen sich für Seeleute, die auf den Seeschiffen beköstigt werden, um 1/30 des nach § 842 RVO festgesetzten Durchschnittsatzes für Beköstigung.
Nach § 47 Abs 1 Satz 2 SGB V darf das aus dem Arbeitsentgelt berechnete Verletztengeld das Nettoarbeitsentgelt nicht übersteigen. Diese Leistungsbegrenzung gilt auch für das Verletztengeld der Seeleute. Die Sonderregelung des § 47 Abs 4 Satz 1 SGB V bezieht sich nur auf die Berechnung des Regelentgelts, wie sich aus § 47 Abs 1 Satz 3 SGB V ergibt. Unabhängig davon besteht die Beschränkung der Höhe des Kranken- bzw Verletztengeldes durch § 47 Abs 1 Satz 2 SGB V. § 561 Abs 1 Satz 1 RVO verweist hinsichtlich des Verletztengeldes bei Arbeitnehmern auf § 47 Abs 1 SGB V ohne Einschränkung hinsichtlich der Grenze des § 47 Abs 1 Satz 2 SGB V. Voraussetzung für die Begrenzung des Verletztenentgeltes durch § 47 Abs 1 Satz 2 SGB V ist, daß es aus dem Arbeitsentgelt berechnet wurde. Der Begriff des Arbeitsentgelts ist in § 14 Abs 1 SGB IV gesetzlich definiert. Darunter fallen alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden. Da in § 47 Abs 1 Satz 2 SGB V nur das Arbeitsentgelt genannt ist, gilt die Leistungsbegrenzung des Abs 1 Satz 2 SGB V nicht, aber auch nur nicht soweit als das Krankengeld bei Selbständigen aus dem Arbeitseinkommen iS des § 15 SGB IV berechnet wird (KassKomm-Höfler, § 47 SGB V, RdNr 4). Das Verletztengeld der Seeleute berechnet sich aus dem Arbeitsentgelt iS des § 14 SGB IV. Denn bei den Durchschnittsheuern handelt es sich um Einnahmen aus einer nicht selbständigen Arbeit, dh aus einer Beschäftigung iS des § 7 Abs 1 SGB IV. Die Einkünfte des Klägers stellten damit kein Arbeitseinkommen aufgrund einer selbständigen Tätigkeit iS des § 15 SGB IV dar, bei dem die Leistungsbegrenzung des § 47 Abs 1 Satz 2 SGB V keine Anwendung findet.
Der Umstand, daß das gemäß § 47 Abs 4 Satz 1 SGB V berechnete Regelentgelt auf einem Durchschnittsentgelt beruht, schließt die Leistungsbegrenzung auf das Nettoarbeitsentgelt gemäß § 47 Abs 1 Satz 2 SGB V nicht aus. Bei dem nach § 842 RVO festgesetzten Durchschnittsentgelt für Seeleute ist zwar nicht, wie bei anderen versicherungspflichtig beschäftigten Arbeitnehmern, das wirklich verdiente Arbeitsentgelt maßgebend (KassKomm-Peters, § 233 SGB V RdNr 2; Gerlach in Hauck, SGB V, § 233 RdNr 5). Doch werden die von dem zuständigen Ausschuß festgesetzten Durchschnittsentgelte in der Regel gemäß § 844 Abs 2 RVO aufgrund der in den einschlägigen Tarifverträgen vereinbarten Entgelte ermittelt und jährlich überprüft (§ 843 RVO; vgl BSG SozR 2200 § 842 Nr 1). Dabei wird durch die starke Aufgliederung der Durchschnittsheuern dem Gesichtspunkt der individuellen Gerechtigkeit Rechnung getragen (Lauterbach/Watermann, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl, § 844 RVO RdNr 2). Es handelt sich damit auch bei dem festgesetzten Durchschnittsentgelt als beitragspflichtige Einnahmen der Seeleute iS von § 233 SGB V um Arbeitsentgelt iS von § 47 Abs 1 Satz 2 SGB V.
Auch nach dem Zweck der Regelung des § 47 Abs 1 Satz 2 SGB V ist es nicht gerechtfertigt, Seeleute von der Beschränkung der Höhe des Verletztengeldes auf das Nettoarbeitsentgelt auszunehmen. Nach § 14 Abs 2 SGB IV handelt es sich bei dem Nettoarbeitsentgelt um den Betrag des Arbeitsentgelts, der nach Abzug der Steuern und des auf den Arbeitnehmer entfallenden Anteils der Beiträge zur Sozialversicherung und seines Beitrages zur Bundesanstalt für Arbeit verbleibt. Für die Errechnung des Nettoarbeitsentgelts gelten die Vorschriften des § 47 Abs 2 SGB V über die Berechnung des Regelentgelts entsprechend. Mit der Begrenzung auf das Nettoarbeitsentgelt will der Gesetzgeber verhindern, daß der Versicherte während der Zeit seiner Arbeitsunfähigkeit effektiv ein höheres Einkommen hat als vorher (BSGE 35, 126, 129; 68, 129, 141 mwN auf Rechtsprechung und Literatur). Eine andere Beurteilung wäre nur gerechtfertigt, wenn es sich bei den nach §§ 233 Abs 1 SGB V, 842 RVO festgesetzten Durchschnittsentgelten bereits um Nettoentgeltsbeträge handeln würde. Dies ist jedoch nicht der Fall. Vielmehr gilt in der Sozialversicherung grundsätzlich das „Bruttoprinzip” (vgl BSGE 64, 110, 111).
Der Umstand, daß die Berechnung des Regelentgelts für Seeleute in § 47 Abs 4 SGB V neben dem Regelentgelt für Personengruppen geregelt ist, die keine Arbeitnehmer und bzw die nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz versichert sind, rechtfertigt nicht, Seeleute von der Beschränkung des Verletztengeldes auf die Höhe des Nettoarbeitsentgelts auszunehmen. Es handelt sich in § 47 Abs 4 SGB V um Sonderregelungen für besondere Versichertengruppen, die aber jeweils unterschiedliche Regelungsinhalte haben. Für die in § 47 Abs 4 Satz 2 SGB V geregelten Personengruppen, die nicht Arbeitnehmer sind, ist das Nettoeinkommen ohne Bedeutung. Eine Vergleichsberechnung, wie sie § 47 Abs 1 Satz 2 SGB V erforderlich macht, braucht nicht stattzufinden (Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 47 SGB V, Rz 135; Krauskopf/Vay, SozKV, § 47 SGB V RdNr 26; Geyer/Knorr/Krasney, Entgeltfortzahlung-Krankengeld-Mutterschaftsgeld, Seite O 607, § 47 SGB V RdNr 10; KassKomm-Höfler, § 47 SGB V RdNrn 4, 29).
Entgegen der Ansicht des Klägers verstößt die Begrenzung des Verletztengeldes als Lohnersatzleistung auf die Höhe des Nettoarbeitsentgeltes nicht gegen verfassungsrechtliche Grundsätze.
Ein Verstoß gegen Art 3 Abs 1 GG liegt schon deshalb nicht vor, weil hinreichend sachlich rechtfertigende Gründe dafür vorliegen, die Versichertengruppen der Seeleute und der sonstigen Arbeitnehmer unterschiedlich zu behandeln (vgl BVerfG SozR 3-2200 § 385 Nr 6). Das Grundrecht aus Art 3 Abs 1 GG ist nur dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten ungleich behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (BVerfGE 75, 78, 105). Hinsichtlich der Seeleute bestanden aber erhebliche Unterschiede, die eine abweichende Regelung rechtfertigten (vgl Lauterbach/Watermann aaO § 841 Anm 1). Bereits das „Gesetz betreffend die Unfallversicherung der Seeleute und anderer bei der Seeschiffahrt beteiligter Personen” vom 13. Juli 1887 – SUVG – (RGBl S 329) sah in § 6 eine Durchschnittsheuer vor. In der Begründung hierzu (RT-Drucks Nr 6 der 7. Legislaturperiode I. Session 1887, S 54 f) heißt es, der Grund für die Einführung der Durchschnittsheuer liege nicht etwa wie bei der Land- und Forstwirtschaft in der durchschnittlichen Gleichheit der gezahlten Löhne, sondern umgekehrt in der außerordentlichen Verschiedenheit der in den verschiedenen Seestädten des In- und Auslandes an Seeleute derselben Kategorie gezahlten Heuer. Es wäre unbillig, bei einem Betriebsunfall die Jahresrenten auf einer so unsicheren, dem Zufall unterliegenden Grundlage zu berechnen. Durchschnittssätze stellten dagegen wenigstens annähernd denjenigen Betrag dar, auf welchen Seeleute bei normalen Verhältnissen rechnen könnten. Es sollte damit durch die Festsetzung des Durchschnittsentgelts gemäß § 842 RVO gerade eine auf Zufälligkeiten beruhende Ungleichbehandlung verhindert werden. Für die abweichende Behandlung der Seeleute in § 47 Abs 4 Satz 1 SGB V liegt damit ein hinreichend sachlicher Grund vor.
Auch der Hinweis des Klägers auf eine gegebenenfalls mögliche Störung der unmittelbaren Beitragsäquivalenz führt zu keiner anderen Beurteilung. Eine strikte Beitragsäquivalenz besteht zudem gegenüber der Berechnung der Geldleistungen deshalb schon grundsätzlich nicht, weil für die Berechnung der Beiträge unter Berücksichtigung der sonstigen Sozialversicherungsleistungen das Bruttolohnprinzip gilt, das Kranken- und Verletztengeld aber – in dem hier maßgebenden Zeitraum nur – auf den Nettolohn begrenzt wird. Deshalb kann dahinstehen, ob der Kläger, der keine Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung zu leisten hat, sein Rechtsmittel überhaupt auf eine Verletzung der Beitragsäquivalenz stützen dürfte.
Die Revision war nach alledem zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1173537 |
SozR 3-2200 § 561, Nr.1 |
SozSi 1998, 278 |