Entscheidungsstichwort (Thema)
Impfschaden. Encephalitis als Folge einer verabreichten Schutzimpfung gegen Influenza. Ursächlicher Zusammenhang zwischen Impfung und Gesundheitsschaden. Überwiegende Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs. Öffentlich empfohlene Schutzimpfung. Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht. Antikörperbildung. Influenzaspaltsimpfstoff. Behring-Impfkodex. Zentralnervöse Symptomatik. Komplementbindungsreaktion. Beweisvereitelung. Untersuchungsmaxime. Feststellungslast. Beweislast
Leitsatz (amtlich)
Encephalitis als Folge einer verabreichten Schutzimpfung gegen Influenza, ursächlicher Zusammenhang zwischen Impfung und Gesundheitsschaden – im Impfschadensrecht genügt für die Anerkennung eines Impfschadens die überwiegende Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs zwischen Impfung und Impfschaden sowie der dauernden Gesundheitsstörung.
Normenkette
BSeuchG § 51 Abs. 1; IfSG § 60 Abs. 1 Nr. 1; SGB I § 56 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
SG für das Saarland (Urteil vom 12.12.2001) |
Tenor
1. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts für das Saarland vom 12. Dezember 2001 wird zurückgewiesen.
2. Der Beklagte hat auch die der Klägerin im Berufungsverfahren entstandenen außergerichtlichen Auslagen zu erstatten.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt mit der vorliegenden Klage als Sonderrechtsnachfolgerin ihres am 22. August 1999 verstorbenen Ehemanns W.H. eine Versorgung nach §§ 51 Abs. 1 Nr. 3; 52 Abs. 1 des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten beim Menschen – Bundesseuchengesetz (BSeuchG) – jetzt: §§ 2 Nr. 11; 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1; 61 Satz 1 des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen – Infektionsschutzgesetz (IfSG) – vom 20. Juli 2000 (BGBl. I, S. 1045 ff.) – in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) wegen der Folgen aus einer Grippeschutzimpfung vom 2. Oktober 1998 mit dem Impfstoff „Influvac 98/99”, Chargen Nr. M-0403 der Firma S.D. B.V., NL.
Der am … 1955 geborene Ehemann der Klägerin (im Folgenden „Betroffener” genannt) wurde am 2. Oktober 1998 von seinem Hausarzt, Facharzt für Allgemeinmedizin R.B.P., H., gegen Influenza mit dem vom Paul-Ehrlich-Institut, Langen, zugelassenen und per Bescheid vom 18. August 1998 freigegebenen o.g. Grippeimpfstoff, Zulassungs-Nr.: PEI.H.00191.01.1, geimpft. Dieser Impfstoff, Ampulleninhalt 0,5 ml, wird intramuskulär oder tiefsubkutan injiziert. Die Suspension enthält sog. Subunit-Antigene aus den Virushüllen verschiedener, jahrgangsweise jeweils aktueller Influenzavirusstämme, daneben einige präparatorische Zusätze und ferner nie ganz vermeidbare Rückstände von Substanzen aus Anzüchtung und Präparation. Die Impfung war ausweislich der Bekanntmachung vom 24. Juli 1998 – Anlage zum Gemeinsamen Ministerialblatt des Saarlandes vom 31. August 1998 – als Schutzimpfung öffentlich empfohlen worden.
In der Folgezeit traten beim Betroffenen Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit, Erbrechen und Schweißausbrüche auf. Sein Hausarzt, der ihn am 19. Oktober 1998 um circa 15:00 Uhr zuhause aufgesucht hatte – der Betroffene habe über starke Kopfschmerzen geklagt –, stellte am 20. Oktober 1998 gegenüber der Krankenkasse die Diagnose „Zerviko-Zephales-Syndrom”. Am Abend des 24. Oktober 1998 (Wochenende) begab sich der Betroffene notfallmäßig wegen einer „ungewöhnlichen Kopfschmerzsymptomatik” zu dem Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. H.B., L., der bei der Untersuchung als Hauptbefund eine Gangstörung feststellte und den Betroffenen umgehend in die neurologische Abteilung des Knappschafts-Krankenhauses P. zur weiteren diagnostischen Abklärung und Behandlung einwies.
In einem Schreiben der vorgenannten Klinik an den einweisenden Arzt vom 28. Oktober 1998 ist als Diagnose u.a. vermerkt: „V.a. postvakzinale Encephalitis DD Kleinhirninsult links, Thalamusinsult rechts”. In der Anamnese heißt es: „Herr H. (der Betroffene) berichtete zur Vorgeschichte, dass er vor 14 Tagen eine Grippeimpfung bekommen habe, dass er bereits vorher leicht verschnupft gewesen sei. Am Tag nach der Grippeimpfung seien im Stirnbereich sowie im Nackenbereich betonte Kopfschmerzen mit pulsierendem Charakter aufgetreten, die seither anhielten. Mehrere Behandlungsversuche mit Schmerzmitteln sowie auch Antibiotika und Diclofenac seien nicht erfolgreich gewesen. Seit 1 Woche bestehe auch ein ständiges Kopfnicken, das pulssynchron sei. Seit nunmehr 2-3 Tagen sei ihm sehr schwindlig geworden, er könne kaum noch gehen, habe ständig Angst umzufallen. Einmalig habe er auch vor 3 Tagen erbrochen.”
Zur weiteren Diagnostik und Therapie wurde der Betroffene am 26. Oktober 1998 in die Universitäts-Nervenklinik und Poliklinik – Neurologie – H.S. verlegt. Die dortige Diagnose lautete: „liquordiagnostisch Hinweis auf Encephalitis DD v.c. zerebrale Ischämie”. Am 28. Oktober 1998 verlangte der Betroffene gegen ärztlichen Rat seine Entlassung. Weiter is...