Entscheidungsstichwort (Thema)
Konkursausfallgeld. Betriebssitz nicht im Geltungsbereich des Arbeitsförderungsgesetzes. Wohnsitz und Arbeitsleistung ausschließlich in Deutschland. Inländische Bestimmungen über die Versicherungspflicht. Inländisches Beschäftigungsverhältnis. Einstrahlung. Ausstrahlung. Anspruchsvoraussetzungen. Insolvenzverfahren nach französischem Recht durch französisches Gericht. Keine Gleichstellung von Insolvenzereignissen im Ausland. Kein bevorrechtigter Rückgriff nach ausländischen Rechtsordnungen. EU-Inländer gleiche soziale Vergünstigungen in einem anderen Mitgliedstaat wie inländische Arbeitnehmer. Beschränkungsverbot
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein Arbeitnehmer einer Firma mit Betriebssitz in Frankreich, der in Deutschland seinen Wohnsitz hat und seine Beschäftigung auch erstmals in Deutschland ausgeübt hat, also einem inländischen Beschäftigungsverhältnis nachgeht, hat keinen Anspruch auf Konkursausfallgeld gegen das Arbeitsamt, wenn ein französisches Gericht das Insolvenzverfahren nach französischem Recht über das Vermögen der Arbeitgeberin eröffnet hat.
2. Anknüpfungspunkt aller Leistungsansprüche aus der Konkursausfallgeldversicherung ist gem. § 141a AFG die Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers, ebenso nach der französischen „liquidation judiciare”. Der „Konkurs” im Ausland ist aber denoch für den Anspruch auf Konkursausfallgeld dem Inlandskonkurs nicht gleichzustellen, da die §§ 141a AFG auf die Regelungen der Konkursordnung abstellen und auf ihnen aufbauen, so ist z.B. ein bevorrechtigter Rückgriff nach ausländischen Rechtsordnungen nicht gewährleistet.
3. Hat ein zahlungsunfähiger ausländischer Arbeitgeber im Inland keinen allgemeinen Gerichtsstand und auch keine gewerbliche (Zweig-)Niederlassung, kommt ein Anspruch auf Konkursausfallgeld für den im Inland wohnenden und arbeitenden Arbeitnehmer nicht in Betracht. Nach Art. 2 und 3 der EWG-Insolvenzrichtlinie besteht hier ein Anspruch gegen einen französischen Rechtsträger. Die dem deutschen Konkursausfallgeld entsprechenden Leistungen sind als Sozialleistungen im Sinn von Art. 7 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 v. 15.10.1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft zu qualifizieren. Das heißt, dass ein EU-Inländer in einem anderen Mitgliedstaat die gleichen sozialen Vergünstigungen wie die inländischen Arbeitnehmer genießt.
4. Die Tatsache, dass dem Arbeitnehmer nach deutschem Recht kein Anspruch auf Konkursausfallgeld zusteht, stellt keinen Verstoß gegen das Recht der Europäischen Union dar, wenn nicht gegen das Diskriminierungs- und das Beschränkungsverbot verstoßen wird.
Normenkette
AFG § 141b Abs. 1 S. 1, Abs. 3 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1, § 141 Abs. 1, § 173a; SGB I § 30 Abs. 1, §§ 31, 37 S. 1; SGB IV § 3 Nr. 1, § 9 Abs. 1, 5 Sätze 1, 3, § 5; KO § 59 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 S. 1, § 61 Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
SG für das Saarland (Gerichtsbescheid vom 05.10.1995; Aktenzeichen S 16 Ar 295/95) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts für das Saarland vom 5. Oktober 1995 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Gewährung von Konkursausfallgeld (Kaug).
Der im Jahre 1939 geborene Kläger war bei der Allgemeinen Ortskrankenkasse für das Saarland (AOK) angemeldet vom 04.02.1991 bis zum 29.02.1992 als versicherungspflichtig Beschäftigter bei der Firma N. in H. sowie vom 01.04.1992 bis zum 06.01.1995 bei der Firma N. in S. (Frankreich) Der Lohn für seine Tätigkeit als Gipser wurde in DM abgerechnet und gezahlt. Mit Urteil des Gerichtshofes Saargemünd vom 14.03.1995 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Arbeitgeberin eröffnet (liquidation judiciaire).
Am 10.04.1995 beantragte der Kläger beim Arbeitsamt S. die Zahlung von Kaug für die Monate November 1994 bis Januar 1995. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 19.04.1995 mit der Begründung ab, daß der Arbeitgeber seinen Betriebssitz nicht im Geltungsbereich des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) habe.
Den Widerspruch begründete der Kläger damit, daß die Arbeitgeberfirma ihren Sitz erst 1992 nach Frankreich verlegt habe; eine geplante Zweigniederlassung in Nalbach sei nicht gegründet worden. Von einem Konkurs der Firma habe er erst nachträglich erfahren. Sowohl sein Wohnsitz als auch sein Tätigkeitsbereich für die frühere Arbeitgeberfirma hätten in Deutschland gelegen.
Das Arbeitsamt S. wies den Widerspruch des Klägers durch Widerspruchsbescheid vom 14.07.1995 als unbegründet zurück. In den Gründen wurde darauf abgestellt, daß der Kläger bei einem Arbeitgeber mit Betriebssitz in Frankreich beschäftigt gewesen sei. Die Vorschriften der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14.06.1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (EWG VO 1408/71), träfen auf den Kläger nicht zu, da er nicht Grenz...