nicht rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Nachweis der Leistungsminderung. Widersprüchliches Verhalten. Persönliche Anhörung des Gutachters
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Nichtfestellbarkeit einer krankheitswerten Ursache von Verhaltensauffälligkeiten schließt nicht das Vorliegen einer psychischen Erkrankung aus.
2. Eine Erwerbsminderungsrente ist abzulehnen, wenn die Gesamtumstände das Fehlen einer relevanten Erkrankung gut möglich erscheinen lassen und deswegen das Vorliegen einer objektiven Leistungseinschränkung nicht mehr mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden kann.
3. Bei widersprüchlichem Verhalten des Versicherten reicht für die Überzeugungsbildung des Gerichts nicht aus, dass ein Gutachten, welches sich allein auf die Beobachtung der Klägerin und die Aussagen der Angehörigen sowie des behandelnden Neurologen/Psychiaters stützt, zu dem Ergebnis kommt, das Leistungsvermögen des Versicherten sei aufgehoben. Es müssen vielmehr darüber hinaus auch objektivierbare Gesichtspunkte diese Einschätzung stützen.
4. Dem Antrag auf persönliche Anhörung des nach § 109 SGG benannten Arztes muss nicht stattgegeben werden, wenn der Kläger weder darlegt, zu welchen Punkten der Sachverständige im Einzelnen gehört werden soll, noch warum es seiner mündlichen Vernehmung bedarf, also ein schriftliche Ergänzung des Gutachtens nicht ausreichen soll.
Normenkette
SGB VI a.F. § 44 Abs. 2; SGG § 109
Verfahrensgang
SG Hamburg (Entscheidung vom 13.01.2003; Aktenzeichen S 16 RJ 206/01) |
Nachgehend
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 13. Januar 2003 wird zurückgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. 3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bzw. voller Erwerbsminderung über den 30. Juni 2000 hinaus.
Die am XX.XXXX 1948 geborene Klägerin ist türkische Staatsangehörige. Sie bezog vom 1. März 1996 bis zum 30. Juni 1998, verlängert bis zum 30. Juni 2000, eine Erwerbsunfähigkeitsrente auf Zeit. Die Gewährung erfolgte trotz Zweifeln am Vorliegen einer psychiatrischen Erkrankung und basierte im Wesentlichen auf der Begutachtung durch die Dres. L. und W., die eine ambulante Exploration für ausreichend, die von der Beklagten in Erwägung gezogene stationäre Beobachtung nicht für erforderlich hielten.
Im Rahmen der beantragten Weiterbewilligung dieser Rente ließ die Beklagte die Klägerin durch den Internisten Dr. J. begutachten, der im Gutachten vom 18. Oktober 2000 trotz starker Verhaltensauffälligkeiten der Klägerin während seiner 70-minütigen Untersuchung zu dem Ergebnis kam, die Klägerin täusche eine psychische Erkrankung vor. Bereits bei der Erstbegutachtung 1998 sei auffällig gewesen, dass der Hausarzt Dr. H. die laut Aussage der Familienangehörigen seit drei Jahren bestehende massive Verhaltensauffälligkeit, die eine Befragung oder körperliche Untersuchung im Rahmen einer Begutachtung unmöglich mache, nicht bemerkt und die Klägerin angeblich auch 1998 krankengymnastische Übungsbehandlungen durchgeführt habe. Mit dem demonstrierten Verhalten in der Untersuchungssituation lasse sich nicht in Übereinstimmung bringen, dass der behandelnde Orthopäde Dr. W1 und die behandelnde Frauenärztin Dr. F. auch jetzt gegenüber dem Gutachter ein völlig unauffälliges Verhalten der Klägerin beschrieben hätten. Bei ihnen hätten sich niemals Kontaktschwierigkeiten ergeben, die Klägerin habe sich auf Deutsch ausreichend verständigen können und auch immer wieder die Praxen allein aufgesucht. Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 25. Oktober 2000 die Weitergewährung der Rente ab und wies den dagegen gerichteten Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 26. Januar 2001 zurück.
Im erstinstanzlichen Verfahren hat der Neurologe/Psychiater Dr. R. die Klägerin untersucht und im Gutachten vom 5. November 2001 ausgeführt, die Verhaltensauffälligkeiten der Klägerin ließen sich keinem psychiatrischen Krankheitsbild und keiner neurotischen Entwicklung zuordnen. Zur sozialmedizinischen Einschätzung sei eine stationäre Begutachtung erforderlich.
Nach dreitägiger stationärer Begutachtung hat die Assistenzärztin Dr. M. im Gutachten von 27. Juni 2002 dargelegt, bei der Klägerin beständen eine schwere Depression ohne psychotische Symptome, eine Somatisierungsstörung, eine Essstörung und der Verdacht eines hirnorganischen anamnestischen Psychosyndroms. Lediglich gegenüber einer türkisch sprechenden Krankenschwester auf der Station sei die Klägerin mitteilsam gewesen, ansonsten habe sie sich völlig zurückgezogen. Eine Simulation der Symptomatik sei aufgrund des langen Krankheitszeitraums sowie der übereinstimmenden Angaben der Klägerin, ihrer Schwiegertochter, des Ehemanns und des behandelnden Neurologen/Psychiaters Dr. A. höchst unwahrscheinlich. Zu ein...