Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Hilfe zum Lebensunterhalt. Leistungsausschluss für Ausländer ohne Aufenthaltsrecht bzw bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. Leistungsanspruch für Ausländer bei mindestens fünfjährigem Aufenthalt im Bundesgebiet. Verlustfeststellung. Rechtskraft
Leitsatz (amtlich)
1. Nach dem Wortlaut des § 23 Abs 3 S 7 Halbs 2 SGB XII führt die Feststellung des Verlusts des Freizügigkeitsrechts ohne weiteres zur Unanwendbarkeit der Ausnahme nach Halbs 1 wegen 5-jährigen Aufenthalts vom Leistungsausschluss nach § 23 Abs 3 S 1 Nr 2 und 3 SGB XII. Die Rechtskraft der Verlustfeststellung wird nicht vorausgesetzt.
2. Dass es auf die Rechtskraft der Verlustfeststellung nicht ankommen kann, entspricht auch der Systematik der Regelung des § 23 Abs 3 SGB XII.
Tenor
Auf die Beschwerde der Beigeladenen wird der Beschluss des Sozialgerichts Hamburg vom 29. Juni 2017 abgeändert und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vollen Umfangs abgelehnt.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Gründe
Die am 18. August 2017 erhobene Beschwerde der Beigeladenen gegen den ihr am 19. Juli 2017 zugestellten Beschluss des Sozialgerichts vom 29. Juni 2017 ist statthaft und auch sonst zulässig (§§ 172, 173 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG).
Die Beschwerde ist auch begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht die Beigeladene im Wege einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern für den Zeitraum vom 29. Mai 2017 bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens in der Hauptsache Leistungen nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) zu gewähren. Denn entgegen der Auffassung des Sozialgerichts vermag der Senat nicht zu erkennen, dass ein entsprechender Leistungsanspruch hinreichend glaubhaft gemacht ist.
Zwar ist das Sozialgericht zu Recht und mit zutreffender Begründung davon ausgegangen, dass infolge des tatsächlichen Aufenthalts der Antragsteller in H. örtlich zuständig die Beigeladene - und nicht der Antragsgegner - ist, doch fehlt es an den materiell-rechtlichen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Leistungen nach § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB XII.
Nach § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB XII ist Ausländern, die sich im Inland tatsächlich aufhalten, u.a. Hilfe zum Lebensunterhalt zu gewähren. Nach § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII erhalten Ausländer und ihre Familienangehörigen jedoch dann keine Leistungen, wenn sie kein Aufenthaltsrecht haben oder sich ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt. Nach dem Erkenntnisstand des Eilverfahrens ist nicht erkennbar, dass die Antragsteller über ein materielles Aufenthaltsrecht verfügen (vgl. dazu bereits den die Antragsteller betreffenden Beschluss des erkennenden Senats vom 26.10.2016 - L 4 SO 57/16 B ER). Die Ausländerbehörde der Beigeladenen hat zudem mit Verfügung vom 13. Juni 2016 nach § 6 Abs. 1 Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG/EU) den Verlust der Freizügigkeit der Antragsteller festgestellt, was gemäß § 7 Abs. 1 FreizügG/EU schon vor Bestandskraft dieser Entscheidung eine Ausreisepflicht begründet (vgl. Geyer, in: Hofmann, Ausländerrecht, 2. Auflage 2016, § 7 FreizügG/EU Rn. 3; siehe hierzu auch unten). Soweit die Antragsteller im Beschwerdeverfahren vortragen, ihnen stünde ein Aufenthaltsrecht nach dem Aufenthaltsgesetz (AufenthG) aus humanitären oder familiären Gründen zu, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Ein Aufenthaltsrecht aus humanitären Gründen nach § 25 Abs. 5 AufenthG setzt zunächst voraus, dass die Ausreisepflicht vollziehbar ist, was hier infolge der noch anhängigen Klageverfahren gegen die Verlustfeststellung nicht der Fall sein dürfte. Auch ist nicht glaubhaft gemacht, dass den Antragstellern eine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen auf unabsehbare Zeit unmöglich ist. Ein Aufenthaltsrecht aus familiären Gründen nach Abschnitt 6 AufenthG ist ebenfalls nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Insbesondere ist weder der Lebensunterhalt der Antragsteller gesichert (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) noch ersichtlich, dass die Voraussetzungen des § 36 Abs. 2 AufenthG vorliegen.
Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts sind die in § 23 Abs. 3 Satz 7 SGB XII geregelten Voraussetzungen für eine Ausnahme vom Leistungsausschluss nicht erfüllt. Denn diese Ausnahme, die für Ausländer gilt, die sich seit mindestens fünf Jahren ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet aufhalten, greift dann nicht ein, wenn der Verlust des Freizügigkeitsrechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU festgestellt wurde. Das ist hier der Fall, die Ausländerbehörde der Beigeladenen hat für beide Antragsteller mit Verfügungen vom 13. Juni 2016 eine Verlustfeststellung getroffen.
Dass die Verlustfeststellungen von den Antragstellern angefochten wurden und die diesbezüglichen Klagen beim Verwaltungsgericht Hamburg noch anhängig sind, führt zu keiner anderen Beurteilung. Der Senat vermag der Ansicht des Sozialgerichts und der Antragsteller, nur eine bestands- bzw. rechtskräftige Verlustfeststellung stünde eine...