Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. endgültige Entscheidung nach vorläufiger Leistungsbewilligung. Pflicht zum Nachweis leistungserheblicher Tatsachen. Rechtsfolgenbelehrung. Unvollständigkeit der Nachweise nach Ablauf der gesetzten Frist. Nullfestsetzung. Vorlage von Kontoauszügen erst im Klageverfahren

 

Orientierungssatz

1. Im Widerspruchsverfahren vorgelegte Unterlagen zum Nachweis leistungserheblicher Tatsachen sind bei abschließenden Entscheidungen nach § 41a Abs 3 SGB II zu berücksichtigen (vgl BSG vom 12.9.2018 - B 14 AS 4/18 R und B 4 AS 39/17 R = BSGE 126, 294 = SozR 4-4200 § 41a Nr 1). Offen gelassen hat das BSG, ob nach der abschließenden Entscheidung vorgelegte Nachweise noch zu berücksichtigen sind.

2. § 41a Abs 3 S 4 SGB 2 hat nach Auffassung des Senats keine materielle Präklusionswirkung. Erst im Klageverfahren vorgelegte Kontoauszüge und Belege über Betriebseinnahmen und -ausgaben sind daher nicht unbeachtlich und noch zu berücksichtigen.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 29.11.2022; Aktenzeichen B 4 AS 64/21 R)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 7. Juli 2020 abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Der Beklagte wird unter Abänderung des Bescheids vom 17. September 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. Juli 2019 verpflichtet, der Klägerin für den Zeitraum vom 1. April 2017 bis zum 30. Juni 2017 Leistungen nach dem SGB II in Höhe von monatlich 637,- Euro zu bewilligen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt ein Viertel der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten noch über die Rechtmäßigkeit einer abschließenden Festsetzung des Leistungsanspruchs nach § 41 Abs. 3 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum vom 1. April 2017 bis zum 30. September 2017.

Die 1988 geborene, erwerbsfähige Klägerin war als selbständige Grafik-Designerin und Illustratorin tätig, außerdem hatte sie einen Minijob als Servicekraft in der Gastronomie. Zum 1. August 2016 zog sie um und lebte seitdem zur Untermiete bei Herrn D.V., ihrem späteren Ehemann. Sie teilte dazu im Oktober 2016 dem Beklagten mit, Herr V. sei nicht ihr Partner, es handele sich um eine reine Wohngemeinschaft. Für den Zeitraum vom 1. Oktober 2016 bis zum 31. März 2017 bewilligte ihr der Beklagte aufstockend Leistungen nach dem SGB II. Zum 1. Dezember 2016 wurde ihr Minijob durch den Arbeitgeber gekündigt.

Am 19. April 2017 stellte die Klägerin einen Weiterbewilligungsantrag. Sie prognostizierte ihr Einkommen aus selbständiger Tätigkeit mit 400,- Euro im April, 200,- Euro im Mai und 120,- Euro im Juni 2017. Als Betriebsausgabe gab sie - neben Miete und Krankenkassenbeiträgen - ein Abo eines Design-Programms (A.) mit Kosten in Höhe von monatlich 29,74 Euro an. Mit Bescheid vom 21. April 2017 bewilligte der Beklagte der Klägerin vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II für den Zeitraum vom 1. April 2017 bis zum 30. September 2017 in Höhe von monatlich 709,- Euro, ohne dass dabei Einkommen berücksichtigt wurde. Die Vorläufigkeit der Bewilligung begründete der Beklagte mit der selbständigen Tätigkeit der Klägerin. In der Folgezeit wurden Leistungen entsprechend dieser Bewilligung ausgezahlt.

Zum 1. Juli 2017 begann die Klägerin ein Studium an der S. (Bachelor of Science, Psychologie). Für die Zeit ab dem 1. September 2017 beantragte sie Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG), welche mit Bescheid vom 14. Februar 2018 abgelehnt wurden mit der Begründung, es handele sich um ein Zweitstudium und die Klägerin habe erst nach dem 9. Fachsemester ihr Studienfach gewechselt. Die Studienaufnahme teilte die Klägerin dem Beklagten zunächst nicht mit.

Am 14. September 2017 gab die Klägerin gegenüber dem Beklagten telefonisch an, sie werde zum 16. Oktober 2017 eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung als Werkstudentin bei der Firma S1 aufnehmen. Am 15. September 2017 stellte die Klägerin einen Weiterbewilligungsantrag, gerichtet auf ein Darlehen für die Zeit bis zur Arbeitsaufnahme. In dem Antragsformular hatte die Klägerin auf die Frage „Es sind weitere Änderungen eingetreten“ „Ja“ angekreuzt und unter „Änderung“ eingetragen „Studium S. - Werkstudentin bei S1 ab 16.10.2017“. Der Beklagte bewilligte ihr daraufhin für den Monat Oktober 2017 ein zinsloses Darlehen in Höhe von 709,- Euro.

Mit Schreiben vom 19. September 2017 forderte der Beklagte die Klägerin unter Fristsetzung bis zum 30. November 2017 auf, abschließende Angaben zu dem erzielten Einkommen aus selbständiger Tätigkeit für den Zeitraum vom 1. April 2017 bis zum 30. September 2017 zu machen und hierzu weitere Unterlagen vorzulegen, namentlich eine vollständig ausgefüllte Anlage EKS für den genannten Zeitraum mit den entsprechenden Nachweisen über Einnahmen und Ausgaben (d.h. Rechnungen, Quittungen und vollständige Kont...

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