Entscheidungsstichwort (Thema)

Schwerbehindertenrecht. Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht. Merkzeichen RF. Rechtsgrundlage. verfassungswidrige Regelung in SchwbAwV. richterliche Feststellung. Verwerfungskompetenz

 

Leitsatz (amtlich)

1. Für das Merkzeichen RF nach Schwerbehindertenrecht fehlt es an einer gültigen Anspruchsnorm.

2. Soweit die Schwerbehindertenausweisverordnung Regelungen über das Merkzeichen RF enthält, verstoßen diese gegen höherrangiges Recht und sind daher nichtig. Diese Feststellung zu treffen obliegt jedem Richter.

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 26. Mai 2005 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten, ob die Beklagte der Klägerin das Merkzeichen RF nach Schwerbehindertenrecht als Voraussetzung für eine Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht zuzusprechen hat.

Die Beklagte erkannte die Klägerin erstmals mit Bescheid vom 26. Mai 1977 als Schwerbehinderte an. In der Folge ergingen Neufeststellungsbescheide (§ 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - SGB X -).

Mit Verschlimmerungsantrag vom 12. März 2001 bat die Klägerin die Beklagte wiederholt unter anderem um Feststellung des Merkzeichens RF. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 28. September 2001 gemäß § 48 Abs. 1 SGB X ab, da die Voraussetzungen für die Feststellung dieses gesundheitlichen Merkmals nicht vorlägen. Der Widerspruch der Klägerin blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 18. Januar 2002). Am 5. Februar 2002 hat die Klägerin vor dem Sozialgericht Hamburg Klage erhoben.

Mit Gerichtsbescheid vom 26. Mai 2005 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen: Die Klage sei nicht begründet. Der Klägerin stehe das Merkzeichen RF rechtlich nicht zu. Es sei nicht ersichtlich, warum sie zusammen mit einer Begleitperson nicht an geselligen Treffen sollte teilnehmen können. Im Übrigen sei zweifelhaft, ob durch das Merkzeichen RF tatsächlich ein behinderungsbedingter Mehraufwand ausgeglichen werde.

Der Gerichtsbescheid ist am 10. Juni 2005 zur Post gegeben worden. Am 7. Mai 2005 hat die Klägerin Berufung eingelegt. Sie verfolgt ihr Begehren weiter.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 26. Mai 2005 und den Bescheid der Beklagten vom 28. September 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Januar 2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, das Merkmal RF für die Rundfunkgebührenbefreiung festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung.

Der Senat hat eine Auskunft der Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahn in das Verfahren eingeführt. Auf das Schreiben vom 15. September 2005 (Blatt 185 der Prozessakten) wird verwiesen.

Die Sachakten der Beklagten haben vorgelegen. Auf ihren sowie auf den Inhalt der Prozessakten wird wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten - so versteht das Gericht deren Erklärungen vom 7. und 12. Juli 2006 - durch den Berichterstatter als Einzelrichter ohne mündliche Verhandlung (§ 155 Abs. 3 und 4 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und daher zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin kann von der Beklagten die Zuerkennung eines Merkzeichens RF rechtlich nicht verlangen.

Gemäß § 69 Abs. 1 Satz 1 des Neunten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB IX) stellen auf Antrag eines behinderten Menschen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung fest. Sind neben dem Vorliegen der Behinderung weitere gesundheitliche Merkmale Voraussetzung für die in Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen (vgl. § 126 SGB IX), so haben diese Behörden die erforderlichen Feststellungen ebenfalls im Verfahren nach § 69 Abs. 1 SGB IX zu treffen (§ 69 Abs. 4 SGB IX). Auf Antrag ist unter anderem darüber nach § 69 Abs. 5 Satz 1 SGB IX ein Ausweis auszustellen, der als Nachweis für die Inanspruchnahme von Leistungen und sonstigen Hilfen dient, die schwerbehinderten Menschen nach Teil 2 SGB IX oder nach anderen Vorschriften zustehen (§ 69 Abs. 5 Satz 2 SGB IX). Die Gestaltung des Ausweises richtet sich gemäß § 70 SGB IX nach der Schwerbehindertenausweisverordnung (SchwbAwV) vom 25. Juli 1991 (BGBl. III/FNA 871-1-9), welche in § 3 Abs. 1 Nr. 5 Regelungen über das Merkzeichen RF (Erfüllung der landesrechtlich festgelegten gesundheitlichen Voraussetzungen für eine Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht) enthält.

Danach steht der Klägerin dieses Merkzeichen nicht zu. Es fehlt nämlich, wie der Senat bereits mit Urteil vom 11. Januar 2006 im Verfahren L 4 SB 14/05 entschieden ha...

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