Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Krankenhausbehandlung. Kodierung einer primären fokalen Hyperhidrose. mittelbare Behandlung. spezielle Rechtfertigung

 

Orientierungssatz

1. Bei einer Krankenhausbehandlung wegen einer primären fokalen Hyperhidrose ist die Hauptdiagnose nach der Nr G90.8 und nicht nach der Nr R61.0 des ICD-10-GM 2009 zu kodieren.

2. Wird durch eine Operation in ein funktionell intaktes Organ eingegriffen und dieses regelwidrig verändert, bedarf diese mittelbare Behandlung einer speziellen Rechtfertigung, wobei die Art und Schwere der Erkrankung, die Dringlichkeit der Intervention, die Risiken und der zu erwartende Nutzen der Therapie sowie etwaige Folgekosten für die Krankenversicherung gegeneinander abzuwägen sind (vgl BSG vom 19.2.2003 - B 1 KR 1/02 R = BSGE 90, 289 = SozR 4-2500 § 137c Nr 1 und BSG vom 17.10.2006 - B 1 KR 104/06 B).

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 20.03.2018; Aktenzeichen B 1 KR 25/17 R)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 14. April 2014 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 2.861,64 EUR nebst 5% Zinsen seit dem 22. September 2009 zu zahlen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Höhe der Vergütung einer Krankenhausbehandlung, wobei insbesondere die korrekte Kodierung der Hauptdiagnose streitig ist.

Die Klägerin behandelte den bei der Beklagten krankenversicherten, 1990 geborenen C. (im Folgenden: Versicherter) in der Zeit vom 3. bis zum 6. März 2009 stationär. Vorausgegangen war eine prästationäre Untersuchung am 14. August 2008 durch den Chefarzt der medizinischen Abteilung und Abteilung für Akutgeriatrie, den Internisten und Kardiologen Prof. Dr. S. Im Untersuchungsbericht heißt es:

“Der Patient erscheint in Anwesenheit seines Vaters. Er erzählt, dass er seit der Pubertät vermehrt im Bereich der Hände, der Achselhöhlen und im Bereich des Kopfes schwitzt. Er hat aus Frust über diese Situation dann auch nach eigenen Angaben vermehrt gegessen und Gewicht zugenommen, was er aber wieder korrigieren wird. Er leidet sehr unter der Hyperhidrose des Gesichts, dann aber auch unter den Achselhöhlen und schließlich auch unter den Händen. Er hat schon einiges unternommen wie z.B. Aluminiumchlorid, Vagantin Dragees sowie Iontophorese und war auch mehrfach beim Hautarzt gewesen. Der Hautarzt Dr. P. hat ihn dann zu uns geschickt. Bei der körperlichen Untersuchung Rücken deutlich nass, Bauch weitgehend unauffällig. Obere Brustpartie etwas betroffen, Achselhöhle deutlich nass, ebenso Hände und vor allen Dinge im Gesichtsbereich Bildung von deutlichen Schweißperlen während des Gesprächs. Leistenregion ebenfalls etwas Hyperhidrose. Ursache dürfte eine Dysreflexie des autonomen Nervensystems sein.„

Ein Arztbrief des Dr. S. vom selben Tag nennt Dysreflexie des autonomen Nervensystems und Hyperhidrose als Diagnosen. Die Einweisungsdiagnose der behandelnden Hautärzte lautete auf Hyperhidrose (ICD-10-Ziffer R61.9: nicht näher beschrieben).

Die stationäre Aufnahme erfolgte am 3. März 2009 mit einem Gewicht des Versicherten von 96 kg bei einer Körpergröße von 188 cm (BMI 27,1). Am 3. und 5. März 2009 wurden jeweils eine thorakoskopische Sympathektomie links und rechts durchgeführt. Bei einer postoperativen Untersuchung am 22. April 2009) zeigte sich die Hyperhidrose sodann stark gebessert.

Die Klägerin verlangte hierfür von der Beklagten eine Vergütung in Höhe von 5.437,91 EUR unter Zugrundelegung der Hauptdiagnose G90.41 (Autonome Dysreflexie als Schwitzattacken), der Nebendiagnose R61.0 (Hyperhidrose, umschrieben) und der DRG B06B (Eingriffe bei zerebraler Lähmung, Muskeldystrophie oder Neuropathie, Alter ( 19 Jahre oder mit schweren CC, Alter ) 15 Jahre).

Die Beklagte beglich zunächst die Rechnung in Höhe von 5.437,91 EUR und beauftragte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Nord (MDK) mit einer Prüfung, was dieser gegenüber der Klägerin mit Schreiben vom 1. April 2009 anzeigte. Der MDK kam in seinem Gutachten vom 27. Juli 2009 zu dem Ergebnis, die von der Klägerin kodierte Hauptdiagnose sei nicht nachvollziehbar. Es sei eine Hyperhidrose (R61.0) als Hauptdiagnose zu kodieren gewesen und insgesamt die DRG J10B (Plastische Operationen an Haut, Unterhaut und Mamma außer bei bösartiger Neubildung) anzusetzen. Die Beklagte bat daraufhin um eine entsprechend angepasste Rechnung, was die Klägerin mit Schreiben vom 6. August 2009 ablehnte.

Im September 2009 rechnete die Beklagte zunächst in voller Höhe auf und stornierte die Rechnung; sodann bezahlte sie das Entgelt der DRG J10B in Höhe von 2.576,27 EUR an die Klägerin.

Wegen des Differenzbetrages in Höhe von 2.861,64 EUR hat die Klägerin am 14. Februar 2012 Klage erhoben und sich zur Begründung auf eine Stellungnahme des Leiters des deutschen Hyperhidrosezentrums , Dr. S1, berufen, welcher ausgeführt habe, dass es sich bei der Hyperhidrose um eine Steuerungsstörung des autonomen Nervensystems...

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