Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfassungsmäßigkeit des kassenindividuellen Zusatzbeitrags
Orientierungssatz
1. Die Krankenkasse ist nach § 242 Abs. 1 SGB 5 berechtigt, von ihren Mitgliedern einen Zusatzbeitrag zu erheben.
2. Nach dieser Vorschrift kann die Krankenkasse, soweit ihr Finanzbedarf nicht durch Zuweisungen aus dem Fonds gedeckt ist, in ihrer Satzung bestimmen, dass von ihren Mitgliedern ein Zusatzbeitrag erhoben wird. Im Gegenzug hat das Mitglied nach § 175 Abs. 4 S. 5 SGB 5 bis zur erstmaligen Fälligkeit des Zusatzbeitrags ein Sonderkündigungsrecht.
3. Für den Fall, dass ein SGB 2-leistungsberechtigter Versicherter in seinem Existenzminimum durch die Zahlung des Zusatzbeitrags tatsächlich eingeschränkt wird, kann er dies durch die Ausübung seines Sonderkündigungsrechts verhindern.
4. Damit ist das durch Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG begründete Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht gefährdet. Die gesetzliche Regelung ist verfassungsgemäß.
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte berechtigt war, in der Zeit von Februar 2010 bis September 2012 einen kassenindividuellen Zusatzbeitrag zu erheben.
Der Kläger bezieht Arbeitslosengeld II und ist pflichtversichertes Mitglied der Beklagten. Diese informierte mit Schreiben vom 1. Februar 2010 ihre Mitglieder - also auch den Kläger - darüber, dass sie ab Februar 2010 einen Zusatzbeitrag zur Krankenversicherung in Höhe von 8 EUR monatlich erheben werde. Mit Bescheid vom 12. Februar 2010 teilte sie dem Kläger mit, dass er den Zusatzbeitrag erstmals für Februar 2010 mit Fälligkeit am 20. März 2010 leisten müsse und dass er das Recht habe, bis zur erstmaligen Fälligkeit des Zusatzbeitrages seine Mitgliedschaft zu kündigen.
Mit seinem dagegen erhobenen Widerspruch machte der Kläger geltend, dass die Erhebung des Zusatzbeitrages verfassungswidrig sei und durch ihn außerdem seine Belastungsgrenze nach § 62 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) überschritten werde. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 12. August 2010 zurück und verwies auf die gesetzliche Regelung in § 242 SGB V und ihre Satzungsbestimmungen.
Mit seiner dagegen gerichteten Klage hat sich der Kläger auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Februar 2010 (1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09 - Juris) berufen, in dem jedem Hilfebedürftigen ein Grundrecht auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums zugestanden werde.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 28. Februar 2013 abgewiesen und ausgeführt, die in § 242 SGB V geregelten gesetzlichen Vorgaben für die Erhebung eines Zusatzbeitrages seien erfüllt. Der Zusatzbeitrag gefährde auch nicht das Existenzminimum des Klägers, da er von seinem Sonderkündigungsrecht hätte Gebrauch machen können, was er aber unterlassen habe.
Der Kläger hat gegen das ihm am 12. März 2013 zugestellte Urteil am 12. April 2013 Berufung eingelegt und trägt erneut vor, die Erhebung des kassenindividuellen Zusatzbeitrages verletze Verfassungsrecht, da in sein Existenzminimum eingegriffen werde. Das Sonderkündigungsrecht ändere hieran nichts, denn eine Krankenkasse lasse sich nicht so einfach wechseln und Leistungsvergleiche seien kompliziert. Schließlich habe die Beklagte die Höhe der noch offenen Restforderung nicht belegt. Er habe insgesamt bisher 208,81 EUR gezahlt, sodass jede Forderung über 125,61 EUR nur falsch sein könne.
Der Kläger beantragt nach seinem Vorbringen,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 28. Februar 2013 und den Bescheid der Beklagten vom 12. Februar 2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12. August 2010 aufzuheben;
hilfsweise, die Frage der Verfassungsgemäßheit der Erhebung eines kassenindividuellen Zusatzbeitrages dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorzulegen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend und wiederholt ihre bisherigen Ausführungen. Ergänzend trägt sie vor, die Gesamtbeiträge für den streitigen Zeitraum beliefen sich auf 256 EUR zuzüglich Mahngebühren und Verspätungszuschlägen. Abzüglich des vom Kläger hierauf bereits gezahlten Betrages von 168 EUR, ergebe sich eine Restforderung von 167,19 EUR, die aber am 29. Mai 2014 niedergeschlagen worden sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Prozessakte und der Verwaltungsakte, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist zulässig, auch wenn der Gesamtbetrag der streitigen Beitragsforderung unter 750 EUR liegt (§ 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz SGG), da wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betroffen sind, sodass die Berufung unabhängig vom Wert des Beschwerdegegenstandes ohne Zulassung statth...