Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch eines vom Maßregelvollzug beurlaubten Hilfebedürftigen auf Leistungen der Grundsicherung. Arbeitslosengeld II. Leistungsausschluss. Richterlich angeordnete Freiheitsentziehung. Aufenthalt in einer Einrichtung. Gesamtverantwortung für die tägliche Lebensführung
Orientierungssatz
1. Ist der Hilfebedürftige in einer stationären Einrichtung untergebracht, so ist er gemäß § 7 Abs. 4 SGB 2 von Leistungen der Grundsicherung ausgeschlossen. Hierzu zählt u. a. die Inhaftierung im Rahmen des Maßregelvollzugs nach § 64 StGB.
2. Eine stationäre Leistungserbringung liegt nur dann vor, wenn der Leistungsempfänger in der Institution lebt und der Träger der Einrichtung die Gesamtverantwortung für die tägliche Lebensführung übernimmt. Infolgedessen greift der Leistungsausschluss nicht für eine vom Maßregelvollzug befreite Person, die zum Zweck der Resozialisierung sich im Rahmen eines abgestuften Behandlungskonzepts zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit im sog. Probewohnen befindet.
Normenkette
SGB II § 7 Abs. 4 S. 2, Abs. 1; SGB XII § 13
Nachgehend
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen. Der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten, ob der Beklagte dem im Jahr 1985 geborenen Kläger Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) zu erbringen hat.
Der Kläger befand sich seit 15. Dezember 2011 in N. im Maßregelvollzug nach § 64 StGB. Im Rahmen eines "abgestuften Behandlungskonzepts" wurde der Kläger ab 21. Oktober 2014 zu sog. "Probewohnen" vom Maßregelvollzug beurlaubt. Probewohner leben außerhalb der Klinik in einer eigenen Wohnung, einer betreuten Wohngruppe oder in einem Wohnheim mit dem Ziel, nach einer individuell zugeschnittenen Probezeit aus dem Maßregelvollzug entlassen zu werden. Sie müssen sich eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit suchen und stehen dem Arbeitsmarkt in vollem Umfang zur Verfügung.
Der Kläger nahm sich eine Wohnung in H ... Er erhielt während des Probewohnens ein Taschengeld. Zudem übernahm der Maßregelvollzug die Kosten der Unterkunft und die tägliche Verpflegung. Am 1. Juli 2015 wurde der Kläger aus dem Maßregelvollzug entlassen.
Am 28. April 2015 hatte der Kläger beim Beklagten einen Antrag auf ergänzende Leistungen nach dem SGB II gestellt. Diesen Antrag lehnte der Beklagte, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 27. August 2015, ab, da der Kläger gem. § 7 Abs. 4 Nr. 2 SGB II als stationär Untergebrachter von Leistungen ausgeschlossen sei.
Auf seine Klage hin verpflichtete das Sozialgericht Hamburg den Beklagten mit Gerichtsbescheid vom 21. Januar 2016 unter Aufhebung der genannten Bescheide, dem Kläger für die Zeit vom 28. April 2015 bis 30. Juni 2015 aufstockende Hilfe unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bewilligen: Der Kläger sei leistungsberechtigt nach § 7 Abs. 1 SGB II. Seinem Anspruch stehe insbesondere § 7 Abs. 4 SGB II nicht entgegen. Er sei in der fraglichen Zeit nicht in einer stationären Einrichtung untergebracht gewesen. Zwar unterfalle der Maßregelvollzug grundsätzlich dem § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II. Das gelte jedoch nicht für vom Maßregelvollzug beurlaubte Personen, die einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehen sollen.
Der Gerichtsbescheid wurde dem Beklagten am 26. Januar 2016 zugestellt. Am 24. Februar 2016 hat er (die vom Sozialgericht ausdrücklich zugelassene) Berufung eingelegt: Der Kläger habe sich in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung aufgehalten, die nach § 7 Abs. 4 Satz 2 SGB II einer Unterbringung in einer stationären Einrichtung i.S.v. § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II gleichgestellt sei und damit einen Leistungsausschluss zur Folge habe. Die Beurlaubung des Klägers ändere daran nichts.
Der Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 21. Januar 2016 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger verteidigt die angefochtene Entscheidung.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Die Sachakten des Beklagten haben vorgelegen. Auf ihren sowie auf den Inhalt der Prozessakten wird ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung des Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg. Zu Recht hat das Sozialgericht den Beklagten verurteilt, dem Kläger Leistungen nach dem SGB II zu erbringen.
Die grundsätzliche Leistungsberechtigung des Klägers nach § 7 Abs. 1 SGB II steht nicht in Frage. Er erfüllte in der fraglichen Zeit sämtliche Leistungsvoraussetzungen nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 4 SGB II. Er fällt nicht unter die Ausschlusskriterien des § 7 Abs. 1 Satz 2, 3 SGB II, und insbesondere war er hilfebedürftig i. S. des § 9 Abs. 1 SGB II.
Der Kläger war - entgegen der Rechtsauffassung des Beklagten - damals auch nicht vom Leistun...