Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Aufhebung der Leistungsbewilligung für die Vergangenheit wegen vorsätzlich unterlassener Angaben. Unterkunft und Heizung. Kopfteilprinzip. Nichtangabe eines zusätzlichen Wohnungsnutzers
Orientierungssatz
1. Nach § 40 Abs 1 S 1, Abs 2 Nr 2 SGB 2 iVm §§ 45 SGB 10, 330 Abs 2 SGB 3 ist ein bei seinem Erlass rechtswidriger Bewilligungsbescheid nach dem SGB 2 mit Wirkung für die Vergangenheit aufzuheben, soweit dieser auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat. Hat der Leistungsberechtigte bei der Leistungsbeantragung weitere Personen, die mit ihm in der Wohnung leben, verschwiegen, so kann er sich gemäß § 45 Abs 2 S 3 Nr 2 SGB 10 gegenüber dem Grundsicherungsträger nicht auf Vertrauensschutz berufen.
2. Im Rahmen des § 22 SGB 2 gilt bei der Bewilligung von Leistungen für die Unterkunft das sog Kopfteilprinzip. Durch die Aufteilung der Aufwendungen für die Unterkunft nach Kopfteilen für alle gemeinsam eine Wohnung nutzenden Personen soll die Zuweisung eines individuellen Bedarfs für die Unterkunft in grundsätzlich gleicher Höhe erreicht werden. Dass der verschwiegene Mitbewohner nicht zur Bedarfsgemeinschaft gehört, lediglich ein kleines Zimmer bewohnt und sich überwiegend nur zum Schlafen in der Wohnung aufhält, rechtfertigt keine vom Kopfteilprinzip abweichende Aufteilung der Unterkunftskosten.
3. Die Aufhebung der Leistung muss nach § 45 Abs 4 S 2 SGB 10 innerhalb der Frist von einem Jahr nach Bekanntwerden der die Rechtswidrigkeit der Bewilligung begründenden Umstände erfolgen.
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 5. April 2017 aufgehoben und die Klage abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Im Streit steht die Aufhebung und Rückforderung von Leistungen für Unterkunftskosten nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II), die der Klägerin für die Zeiträume vom 1. Oktober 2008 bis zum 31. Mai 2009 und vom 1. Dezember 2009 bis zum 30. Juni 2011 gewährt worden waren.
Die 1951 geborene, im streitgegenständlichen Zeitraum erwerbsfähige Klägerin bezog seit dem 4. Dezember 2007 in Bedarfsgemeinschaft mit ihrem 1963 geborenen Ehemann, Herrn M., Leistungen nach dem SGB II vom Beklagten. In dem bei der Erstantragstellung verwendeten Formular war ausdrücklich danach gefragt worden, ob in dem Haushalt Angehörige lebten, die nicht zur Bedarfsgemeinschaft gehörten, dabei waren als Beispiel genannt "Verwandte, wie z.B. Großelternteile, Geschwister, Onkel, Tante, Neffe und/oder Verschwägerte". Diese Frage war nicht beantwortet worden. Auch auf dem Zusatzblatt 1 zum Antrag zur Feststellung der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung war die Frage danach, ob in der Wohnung neben den im Antrag genannten Personen weitere Personen lebten, nicht ausgefüllt worden. Antrag und Zusatzblatt waren vom Ehemann der Klägerin unterschrieben worden.
Der Beklagte bewilligte der Klägerin und ihrem Ehemann als Bedarfsgemeinschaft für den streitgegenständlichen Zeitraum durch diverse Bescheide und Änderungsbescheide Leistungen nach dem SGB II (für den Zeitraum Oktober bis November 2008 Bescheid vom 14.5.2008 und Änderungsbescheid vom 18.5.2008; für den Zeitraum Dezember 2008 bis Mai 2009 Bescheid vom 29.10.2008; für den Zeitraum Dezember 2009 bis Mai 2010 Bescheid vom 22.10.2008 und Änderungsbescheid vom 18.12.2009; für den Zeitraum Juni bis August 2010 vorläufiger Bewilligungsbescheid vom 19. Juli 2010 und Änderungsbescheid/endgültiger Bewilligungsbescheid vom 1.3.2011; für den Zeitraum September bis November 2010 vorläufiger Bewilligungsbescheid vom 24.8.2010, Änderungsbescheide bzw. endgültige Bewilligungsbescheide vom 3.9.2010, 15.9.2010, 29.9.2010 und 1.3.2011; für den Zeitraum Dezember 2010 bis Februar 2011 vorläufiger Bewilligungsbescheid vom 29.11.2010 und Änderungsbescheid/endgültiger Bewilligungsbescheid vom 25.5.2011; für den Zeitraum März bis Mai 2011 vorläufiger Bewilligungsbescheid vom 1.3.2011 und Änderungsbescheid/endgültiger Bewilligungsbescheid vom 26.3.2011; für den Monat Juni 2011 Bewilligungsbescheid vom 27.4.2011 und Änderungsbescheid vom 25.5.2011). Dabei legte er entsprechend den Angaben der Klägerin und ihres Ehemanns und den vorgelegten Nachweisen im Zeitraum Oktober 2008 bis Mai 2009 einen Bedarf an Unterkunftskosten i.H.v. insgesamt 771,10 EUR, im Zeitraum Dezember 2009 bis Mai 2010 i.H.v. 767,21 EUR, im Zeitraum Juni 2010 bis Mai 2011 i.H.v. 778,92 EUR und im Juni 2011 i.H.v. 791,14 EUR zu Grunde.
Nach Ermittlungen des Hauptzollamts zu einer nicht mitgeteilten selbständigen Tätigkeit des Ehemanns der Klägerin als Kameramann bzw. Inhaber eines Film- und Fotostudios und Anhörung des Ehemanns der Klägerin erließ der Beklagte am 6. April 2011 diverse Aufhebungs- und Erstattungsbescheide gegenüber der Klägerin und ihrem Ehemann, mit denen er die g...