Entscheidungsstichwort (Thema)

Voraussetzungen der Zuerkennung des Merkzeichens "G". Gesamt-GdB. Funktionsbeeinträchtigungen. Wirbelsäulenbeschwerden. Depressive Störung. Erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr. Wesentliche Änderung

 

Orientierungssatz

1. Voraussetzung für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" ist eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr. Diese gilt als erfüllt, wenn auf die Gehfähigkeit sich auswirkende Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule bestehen, die für sich einen GdB von wenigstens 50 bedingen.

2. Schmerzen im Bereich der Hals- und Brustwirbelsäule wirken sich in erster Linie auf den Kopf und die oberen Extremitäten bzw. den Brustbereich aus. Demgegenüber wirken sich allein gravierende Beschwerden der Lendenwirbelsäule entsprechend den Vorgaben in der VersMedV auf die Gehfähigkeit aus.

 

Normenkette

SGB IX § 69 Abs. 1, 3 S. 3; SGB X § 48 Abs. 1 S. 1

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts A-Stadt vom 3. Juni 2010 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungsverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist zwischen den Beteiligten die Höhe des zu Grunde zu legenden Grades der Behinderung (GdB) und ob die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens “G„ gegeben sind.

Gegenüber dem 1951 geborenen Kläger war in der Vergangenheit nach Durchführung eines sozialgerichtlichen Verfahrens ein GdB von 60 (Bescheid vom 5. April 2005) unter Berücksichtigung folgender Behinderungen anerkannt worden:

- Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, mit Verformung verheilter Wirbelbruch (GdB 40)

- Psychovegetative Störungen (GdB 30)

- Degenerativer Verschleiß der großen Gelenke, Finger und Handgelenke (GdB 30)

- Schwerhörigkeit (beidseits) (GdB 10)

- Schwäche der rechten Hand (GdB 10)

- Polyneuropathie (GdB 10)

Die Brustwirbelfraktur nach Sturz von einem Gerüst hatte der Kläger 1983 erlitten.

Im Neufeststellungsantrag vom 24. Januar 2006 verwies der Kläger auf einen bestehenden Gewebetumor im Bereich des linken Oberschenkels und machte eine erhebliche Gehbehinderung rückwirkend ab 2005 gemacht.

Die von dem Beklagten befragten behandelnden Ärzte (Facharzt für Allgemeinmedizin SR F., Facharzt für Orthopädie Dr. G.) berichteten von einem unklaren Tumor im prox. Femur links (am ehesten Verdacht auf einen unverändert gutartigen Knochentumor). Es werde unverändert über Schmerzen im linken Oberschenkel geklagt unter Beschreibung einer gewissen Progredienz.

In zwei gutachterlichen Stellungnahmen vom 25. Mai und 15. Juli 2006 befürwortete Facharzt für Chirurgie Dr. H. einen GdB von 20 wegen Funktionsbehinderung des linken Beines bei gutartigem Knochentumor seit Erstfeststellung am 24. Februar 2006, während im Abgleich zur früheren gutachterlichen Stellungnahme vom 10. März 2005 (Dr. M.) ein GdB von 10 wegen Schwäche der rechten Hand keine Berücksichtigung mehr fand. Der Gesamt-GdB sei unverändert, woraufhin der Beklagte mit Datum vom 3. August 2006 einen Ablehnungsbescheid erließ.

Im am 30. August 2006 erhobenen Widerspruch machte der Kläger eine unzureichende Berücksichtigung des Oberschenkeltumors geltend. Unter Einbeziehung der Hüft-, Knie- und Schultergelenksprobleme sei die Ablehnung des Merkzeichens “G„ nicht nachvollziehbar.

Der daraufhin nochmals befragte Dr. G. führte aus, dass im Bereich der HWS MRT-technisch keine neurogene Schädigung festgestellt worden sei. Eine Änderung der objektiven klinischen Befunde sei nicht eingetreten, der Grad der Funktionsstörungen konstant. Es bestehe offensichtlich jedoch eine Zunahme der psychosomatischen Überlagerung.

In einer weiteren gutachterlichen Stellungnahme des versorgungsärztlichen Dienstes vom 16. Oktober 2006 (Facharzt für Allgemeinmedizin Sch.) wurde eine unveränderte GdB-Bewertung befürwortet, woraufhin der Beklagte am 9. November 2006 einen zurückweisenden Widerspruchsbescheid erließ. Eine wesentliche Veränderung der Verhältnisse i.S. von § 48 SGB X sei nicht festzustellen.

Am 28. November 2006 ist Klage vor dem Sozialgericht (SG) Neubrandenburg erhoben worden. Der Beklagte habe nicht begründet, warum bezüglich der bestehenden seelischen Störung kein GdB von 40 statt 30 festgestellt worden sei. Zudem rechtfertige die Polyneuropathie einen GdB von 20, so dass ein Gesamt-GdB von 70 gerechtfertigt sei.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid vom 3. August 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. November 2006 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, bei ihm ab dem 1. Januar 2005 einen GdB von mehr als 60 sowie das Merkzeichen “G„ festzustellen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat darauf verwiesen, dass die beim Kläger im Wesentlichen bestehende chronische Schmerzverarbeitung als eigentliche Ursache des seelischen Leidens bereits im Rahmen der Funktionsbehinderung der Wirbelsäule mit berücksichtigt worden sei. Eine Polyneuropathie sei ...

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