Entscheidungsstichwort (Thema)
Rente wegen Todes aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Witwenrente. widerlegbare Vermutung. Versorgungsehe. kurze Ehedauer. Versorgungsabsicht. tatsächliche Ehedauer
Leitsatz (amtlich)
1. Für die Rechtsfolge des § 46 Abs 2a SGB VI kommt es auf die tatsächliche Ehedauer an, nicht auf die subjektiven Vorstellungen der Eheleute von der zu erwartenden Ehedauer. Eine Versorgungsabsicht kann auch dann Grund für die Eheschließung sein, wenn die Eheleute mit einer Ehedauer von mehr als einem Jahr rechnen, weshalb eine solche Erwartung nicht zur Widerlegung der vom Gesetz vermuteten Versorgungsabsicht geeignet ist.
2. Bei der Widerlegung der gesetzlichen Vermutung einer Versorgungsehe geht es vorrangig um die Ermittlung und Bewertung weiterer bedeutsamer Gründe für die Eheschließung und nicht darum, die vom Gesetzgeber vermutete Versorgungsabsicht in Frage zu stellen (Anschluss an LSG München vom 13.11.2018 - L 19 R 314/17 = juris RdNr 45 ).
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts B-Stadt vom 22. März 2022 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Witwenrente aus der Versicherung des bei der Beklagten versicherten, am 9. Dezember 2019 verstorbenen Ehemanns der Klägerin (im Folgenden: Versicherter).
Die 1964 geborene Klägerin war seit dem 27. September 2019 mit dem 1956 geborenen Versicherten verheiratet. Eine erste Ehe des Versicherten war am 19. Mai 2009 geschieden worden. Auch die Klägerin ist zuvor bereits einmal verheiratet gewesen.
Nach ihren Angaben bestand eine eheähnliche Gemeinschaft mit dem Versicherten seit 1997. Seit 2004 bewohnten sie ein im Alleineigentum des Versicherten stehendes Eigenheim. Nach zwischenzeitlichen Trennungen im Jahr 2008 und zwischen 2010 und 2013 lebten sie seitdem ununterbrochen zusammen.
Die Klägerin war als Masseurin selbständig erwerbstätig. Die Gewinn- und Verlustrechnung für 2018 wies einen betrieblichen Gewinn im Geschäftsjahr in Höhe von 3.448,00 EUR, im Vorjahr von 3.895,48 EUR aus.
Bereits im Jahr 2000 hatte der Versicherte einen apoplektischen Insult erlitten. In 2010 war ferner eine Nephrektomie links und in 2017 eine Stentimplantation aufgrund koronarer Herzkrankheit vorgenommen worden.
Im Jahr 2016 wurde bei dem Versicherten Dickdarmkrebs festgestellt (Adenokarzinom der linken Kolonflexur im Stadium pT4b pN2a pM1a). Daraufhin erfolgten eine chirurgische Therapie (konventionelle Transversum- und Jejunumsegmentresektion mit Aszendosigmoideostomie bei 35 cm ab ano sowie Jejunostomie) am 15. Mai 2016 sowie eine adjuvante Chemotherapie von Juli 2016 bis Januar 2017. Seit Januar 2019 kam es wiederholt zu Pleuraergüsses bei Verdacht auf eine Pleurakarzinose, also auf einen Krebsbefall des Rippenfells. Im Zeitraum von Februar bis Mai 2019 wurde eine Chemotherapie mit palliativer Zielsetzung durchgeführt. Am 9. Dezember 2019 verstarb der Versicherte an seiner Krebserkrankung.
Am 3. Januar 2020 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung einer Witwenrente aus der Versicherung des Versicherten.
Die Beklagte holte eine Stellungnahme ihres Sozialmedizinischen Dienstes vom 24. März 2020 ein. Nach Auswertung des Befundes einer CT von Thorax und Abdomen der Radiologie L. K. vom 6. Juni 2019 und der Epikrise des Krankenhauses A-Stadt vom 24. November 2019 über den Krankenhausaufenthalt des Versicherten vom 13. bis 24. November 2019 führte die Gutachterin, Fachärztin für Allgemeinmedizin L., aus, es habe sich bereits im Mai 2016 um eine weit fortgeschrittene metastasierte Tumorerkrankung gehandelt. Der Versicherte habe im Januar 2019 an einem malignen Pleuraerguss im Rahmen der fortgeschrittenen Grunderkrankung gelitten. Auch wenn während des stationären Aufenthaltes keine histologischen Anzeichen für eine Malignität des Pleuraergusses festgestellt worden seien, sei die Klinik doch davon ausgegangen, dass es sich um maligne Pleuraergüsse im Rahmen der Grunderkrankung gehandelt habe. Das Ableben eines Patienten lasse sich nicht mit einer genauen Zeitangabe prognostizieren. Es sei aber bei Eheschließung sicherlich von allen Beteiligten realisiert worden, dass der Versicherte letztendlich an seiner schweren Krebserkrankung versterben würde. Dabei sei eine genaue Zeitprognose unmöglich, denn letztendlich sei die Tumorerkrankung bereits bei Operation 2016 weit fortgeschritten gewesen und dennoch habe der Versicherte mithilfe von Chemotherapien und ärztlicher Therapie dreieinhalb Jahre überlebt. Insofern habe hier auch aus medizinischer Sicht nicht vom Versterben des Versicherten binnen 12 Monaten nach Eheschließung ausgegangen werden können.
Die Beklagte lehnte den Antrag auf Witwenrente mit Bescheid vom 29. Mai 2020 und Widerspruchsbescheid vom 9. September 2020 im Wesentlichen mit der Begründung ab, es bestehe die Vermutung einer Versorgungsehe. Bei dem Versicherten habe bereits seit...