Entscheidungsstichwort (Thema)

Überlanges Vergütungsfestsetzungsverfahren. unangemessene Verfahrensdauer. Vorbereitungs- und Bedenkzeit von 3 Monaten. Rechtsanwalt als Entschädigungskläger. keine Geldentschädigung. Organ der Rechtspflege. äußerst geringe Bedeutung des Ausgangsverfahrens. keine vergleichbare psychische Belastung wie bei juristischen Laien. Wiedergutmachung auf sonstige Weise. Feststellung der Überlänge ausreichend. sozialgerichtliches Verfahren

 

Orientierungssatz

1. Hinsichtlich des unbestimmten Rechtsbegriffs der unangemessenen Dauer hat der Senat wiederholt (zB LSG Neustrelitz vom 11.11.2015 - L 12 SF 31/15 EK AS und vom 8.6.2016 - L 12 SF 9/14 EK AS) entschieden, von einer noch angemessenen Verfahrensdauer für Vergütungsfestsetzungsverfahren (und auch Kostenfestsetzungsverfahren) auszugehen, wenn drei Monate Verfahrensdauer - zzgl prozessfördernder Zeiten - nicht überschritten werden.

2. Allerdings kann eine Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Abs 4 GVG durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war, ausreichend sein (vgl § 198 Abs 2 S 2 GVG), wenn die Bedeutung des überlangen Vergütungsfestsetzungsverfahrens für den Rechtsanwalt als Entschädigungskläger nur äußerst gering gewesen ist.

3. Ein Rechtsanwalt ist ein unabhängiges Organ der Rechtspflege (vgl § 1 BRAO) und profitiert grundsätzlich von Prozessen; die psychische Belastung, die mit § 198 GVG entschädigt werden soll, erscheint bei ihm nicht vergleichbar wie bei juristischen Laien.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 08.01.2018; Aktenzeichen B 10 ÜG 14/17 B)

 

Tenor

1. Für das Vergütungsfestsetzungsverfahren S 11 AS 1235/07 PKH SG Neubrandenburg wird eine überlange Verfahrensdauer von zwei Monaten festgestellt. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Der Beklagte trägt 1/10, die Klägerin 9/10 der Kosten des Verfahrens.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

4. Der Streitwert wird auf 600,00 € festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt eine Entschädigung in Höhe von mindestens 600 Euro sowie hilfsweise die Feststellung, das ein Vergütungsfestsetzungsverfahren unangemessen lange gedauert hat.

Das damals erstinstanzliche Hauptsacheverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Neubrandenburg (S 11 AS 1235/07) endete durch einen Vergleich vom 31. August 2011 und einer Kostentragung der dortigen Beklagten für den Fall, dass weitere Leistungen (Erstausstattung bei Geburt bzw. Wohnungseinrichtung) aufgrund nachgereichter Nachweise zu bewilligen seien. Am 2. Juli 2009 war zuvor der dortigen Klägerin Prozesskostenhilfe unter Beiordnung der hiesigen Klägerin ohne Ratenzahlung bewilligt worden. Mit Beschluss vom 14. September 2009 wurde der Klägerin - antragsgemäß - ein Vorschuss in Höhe von 464,10 Euro für ihren Vergütungsanspruch durch das SG bewilligt.

Am 31. Dezember 2013 beantragte die Klägerin eine Vergütungsfestsetzung zu Lasten der Staatskasse unter Abzug des gewährten Vorschusses in Höhe von 248,71 Euro. Unter dem 23. Januar 2014 fragte das SG bei der dortigen Beklagten im Ausgangsverfahren an, ob etwaige Zahlungen unter anderem an die hiesige Klägerin erfolgt seien. Hieraufhin teilte die dortige Beklagte unter dem 14. März 2014 unter anderem mit, dass Kosten wohl nicht erstattet würden. Am 15. April 2014 rügte die Klägerin eine Verzögerung des „Kostenfestsetzungsverfahrens“. Mit Beschluss vom 3. September 2014 - zugestellt am 9. Oktober 2014 - setzte das SG die aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen in Höhe von 653,31 Euro bzw. abzüglich des PKH-Vorschusses auf 189,21 Euro fest. Auf die Erinnerung der Klägerin wurde durch Beschluss des SG Neubrandenburg vom 9. April 2015 der Betrag antragsgemäß auf insgesamt 248,71 Euro festgesetzt. Der Beschluss wurde am 16. April 2015 der Klägerin zugestellt.

Mit ihrer am 17. April 2015 vor dem Landessozialgericht (LSG) Mecklenburg-Vorpommern erhobenen Klage begehrt die Klägerin eine Entschädigung in Höhe von 600 Euro. Die Vergütungsfestsetzung sei seitens des SG erst mit Beschluss vom 3. September 2014, der am 9. Oktober 2014 zugestellt worden sei, erfolgt. Die Festsetzung sei erst nach über acht Monaten erfolgt und das SG habe einen weiteren Monat benötigt, den Beschluss zuzustellen. Alle über drei Monate hinausgehenden Bearbeitungszeiten seien nicht gerechtfertigt. Es ergebe sich eine überlange Verfahrensdauer von sechs Monaten.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, eine angemessene Entschädigung für die überlange Dauer des Vergütungsfestsetzungsverfahrens S 11 AS 1235/07 in Höhe von mindestens 600 Euro zu zahlen;

hilfsweise festzustellen, dass das Vergütungsfestsetzungsverfahren unangemessen lange gedauert hat.

Der Senat ist von dem Antrag des Beklagten ausgegangen,

die Klage abzuweisen.

Das Vergütungsfestsetzungsverfahren habe unangemessen lange gedauert. Es erscheine die beantragte Entschädigung nicht angemessen. Der immaterielle Nachteil, den ein Kostenfestsetzungsverfahren in eigener Sache betreibender Rechtsanwalt in Folge einer unange...

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