Entscheidungsstichwort (Thema)
Überlanges Gerichtsverfahren. sozialgerichtliches Verfahren. Entschädigungsklage. unangemessene Dauer. unverzügliche Terminierung. Sechsmonatsfrist ab Entscheidungsreife. getrennte Einzelbetrachtung der Tatsacheninstanzen. Feststellung der Überlänge im Tenor. Prozesszinsen. Immaterielle Entschädigung. Regelsatz
Orientierungssatz
1. Die nicht unverzügliche Terminierung ist die häufigste Ursache für lange Verfahrensdauern. Eine Terminierung ist als unverzüglich anzusehen, wenn der Behandlungstermin binnen eines halben Jahres nach Eintritt der Entscheidungsreife liegt bzw die ggf zu treffende Entscheidung allenfalls kurze Zeit über diesen Zeitpunkt hinaus auch vorliegt, da auch die Entscheidungsabsetzung noch die Verfahrensdauer betrifft (so auch LSG Neubrandenburg vom 13.2.2013 - L 12 SF 3/12 EK AL).
2. Für den Entschädigungsanspruch sind die beiden Tatsacheninstanzen getrennt voneinander zu betrachten.
3. Die Dauer der Überlange ist bereits im Tenor konkret zu benennen (so auch LSG Neubrandenburg vom 13.2.2013 - L 12 SF 3/12 EK AL).
4. Der Anspruch auf Zinsen ab Rechtshängigkeit nach § 288 Abs 1 S 2 iVm § 291 BGB (Prozesszinsen) besteht auch für die Entschädigung nach § 198 GVG (Anschluss an BFH vom 19.3.1914 - X K 8/13 = BFHE 244, 521 = BStBl II 2014, 584).
Normenkette
GVG § 198; ÜVerfBesG Art. 23; GG Art. 19 Abs. 4; EMRK Art. 6; BGB § 288 Abs. 1 S. 2, § 291
Nachgehend
Tenor
Für das Klageverfahren S 4 U 83/04 beim Sozialgericht Neubrandenburg wird eine überlange Verfahrensdauer von 41 Monaten festgestellt. Insoweit wird der Beklagte verurteilt, an den Kläger 4.100 € nebst Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über dem Basiszinssatz ab dem 13. Januar 2012 zu zahlen.
Für das Berufungsverfahren L 5 U 50/09 beim Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern wird eine überlange Verfahrensdauer von 34 Monaten festgestellt. Insoweit wird der Beklagte verurteilt, an den Kläger 3.400,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5% über dem Basiszinssatz ab dem 03. Dezember 2013 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt eine angemessene Entschädigung für die unangemessene Dauer eines Gerichtsverfahrens aus dem Bereich des Rechtes der gesetzlichen Unfallversicherung, welches zunächst beim Sozialgericht (SG) A-Stadt und nachfolgend beim Landessozialgericht (LSG) Mecklenburg-Vorpommern anhängig gewesen ist, gemäß § 202 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 198 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG).
Dem Ausgangsverfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Der 1949 geborene Kläger beantragte im Januar 2003 bei der S.-berufsgenossenschaft (S.BG) als der für seinen letzten Arbeitgeber zuständigen Berufsgenossenschaft die Anerkennung einer Berufskrankheit “Lärmschwerhörigkeit„. Diese Berufsgenossenschaft ließ ihren technischen Aufsichtsdienst (TAD) Ermittlungen anstellen zur Lärmexposition des Klägers von 1995 bis 2002 in ihrem Mitgliedsbetrieb. Da nach ihrer Auffassung im Ergebnis dieser Ermittlungen in diesem Betrieb keine eine Lärmschwerhörigkeit auslösende Lärmexposition bestanden hatte, gab sie den Antrag des Klägers auf Anerkennung einer Berufskrankheit an die für vorherige Tätigkeiten zuständige Berufsgenossenschaft der c… I. (BG C.) ab. Diese lehnte gegenüber dem Kläger die Anerkennung der fraglichen Berufskrankheit mit Bescheid vom 01. April 2004 mit der Begründung ab, dass er zwar von 1971 bis 1995 schädlichem Lärm ausgesetzt gewesen sei, danach aber nicht mehr. Da sich die Schwerhörigkeit nach Ende der Exposition erheblich verschlechtert habe, könne von einer Kausalität nach allgemeinen Erkenntnissen nicht ausgegangen werden. Der hiergegen erhobene Widerspruch des Klägers wurde mit Widerspruchsbescheid der BG C. vom 17. August 2004 zurückgewiesen.
Hiergegen hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers am 15. September 2004 Klage beim SG Neubrandenburg erhoben, die unmittelbar mit der Klageschrift im Wesentlichen dahingehend begründet wurde, dass auch von 1995 bis 2002 entgegen den Feststellungen des TAD der S.BG eine schädliche Lärmexposition bestanden habe.
Die BG C. hat auf diese Klage im Oktober 2004 erwidert und ihre Verwaltungsakten übersandt, die sodann dem Prozessbevollmächtigten des Klägers zur Akteneinsicht übersandt worden sind, woraufhin dieser seine Klagebegründung im November 2004 im Hinblick auf die Sichtung dieser Akten noch ergänzt hat.
Anfang Dezember 2004 hat das SG Neubrandenburg sodann die S.BG als möglicherweise zuständige Berufsgenossenschaft zum Verfahren beigeladen, woraufhin diese ihrerseits Akteneinsicht beantragt und in der Folge im Januar 2005 ausgeführt hat, dass sie bei der Auffassung bleibe, dass im Rahmen ihrer Zuständigkeiten keine schädliche Lärmexposition beim Kläger mehr vorgelegen habe.
Mit Verfügung vom 05. April 2005 hat das Gericht den Prozessbevollmächtigten des Klägers darauf hingewiesen, dass es wohl ebenfalls nicht von einer Lärmbelastung...