Entscheidungsstichwort (Thema)

Private Kranken- und Pflegeversicherung. Arbeitslosengeld II-Bezieher. Begrenzung des Zuschusses zu den Versicherungsbeiträgen auf die Hälfte des Basistarif-Beitrags. Deckungslücke. planwidrige Regelungslücke. Verfassungsmäßigkeit. einstweiliger Rechtsschutz

 

Orientierungssatz

1. Eine planwidrige Regelungslücke liegt grundsätzlich nur dann vor, wenn das Gesetz, gemessen an der Regelungsabsicht des Gesetzgebers und den gesetzesimmanenten Zwecken, planwidrig unvollständig ist.

2. Die für Arbeitslosengeld II-Bezieher § 12 Abs 1c S 6 Halbs 2 VAG sowie in § 110 Abs 2 S 4 Halbs 2 SGB 11 gesetzlich vorgesehene anteilige Bezuschussung der Beiträge zu einer privaten Kranken- und Pflegeversicherung führt zu einer Deckungslücke zwischen der Beitragslast einerseits und dem vom Grundsicherungsträger gewährten Zuschuss andererseits und ist somit nicht mit der verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates zur Sicherstellung des Existenzminimums vereinbar.

3. Ein Ruhen des Leistungsanspruchs eines Versicherungsnehmers nach § 193 Abs 6 S 4 VVG (juris: VVG 2008) tritt von vornherein nicht ein, wenn dieser bereits im Leistungsbezug nach dem SGB 2 steht und somit bereits hilfebedürftig ist.

4. Der Anspruch eines Hilfebedürftigen auf effektiven Rechtsschutz (Art 19 Abs 4 GG) gebietet es, bereits im Eilverfahren zur Abwendung wesentlicher Nachteile für den Hilfebedürftigen eine einstweilige Anordnung über die Gewährung vorläufiger Leistungen gemäß § 86b Abs 2 S 2 SGG zu treffen. Die Fachgerichte sind durch Art 100 Abs 1 GG nicht daran gehindert, schon vor der im Hauptsacheverfahren einzuholenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auf der Grundlage ihrer Rechtsauffassung vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren, wenn dies nach den Umständen des Falles im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes geboten erscheint und die Hauptsacheentscheidung dadurch nicht vorweggenommen wird (vgl ua BVerfG vom 24.6.1992 - 1 BvR 1028/91 = BVerfGE 86, 382).

 

Tenor

Der Beschluss des Sozialgerichts Bremen vom 02.09.2009 wird aufgehoben.

Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig einen weiteren Zuschuss zu den Beiträgen ihrer privaten Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 178,53 € monatlich für den Zeitraum vom 17.08.2009 bis 31.12.2009 zu gewähren.

Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.

 

Gründe

I.

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des von der Antragsgegnerin zu gewährenden Zuschusses zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung der Antragstellerin streitig.

Die 1948 geborene Antragstellerin bezieht seit dem 09.06.2009 Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II). Sie war in den vergangenen Jahren selbständig tätig und privat kranken- und pflegeversichert. Zum 01.08.2008 stellte der F. Krankenversicherungsverein a. G. die Versicherung auf den Basistarif nach § 12 Abs. 1 a Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) um. Seitdem hat die Antragstellerin für die Krankenversicherung monatlich 284,81 € und für die Pflegeversicherung monatlich 35,83 €, mithin monatlich insgesamt 320,84 € zu entrichten. Hierbei handelt es sich um den aufgrund der nachgewiesenen Hilfebedürftigkeit i.S.d. SGB II auf die Hälfte reduzierten Beitragssatz des Basistarifs gem. § 12 Abs. 1 c S. 4 und 6 VAG (Versicherungsschein vom 05.10.2009).

Mit Bescheid vom 30.06.2009 bewilligte die Antragsgegnerin der Antragsstellerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts als Darlehen für die Zeit vom 09.06.2009 bis 31.12.2009. Dabei wurden für den Zeitraum vom 01.07. bis 31.12.2009 monatliche Leistungen in Höhe von insgesamt 965,59 € bewilligt. Dieser Betrag setzt sich aus der Regelleistung in Höhe von 359,00 €, Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 464,48 € sowie aus einem Zuschuss zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 142,11 € zusammen. Die Bewilligung erfolgte im Hinblick auf vorhandenes Vermögen (vermietete Eigentumswohnung) auf Darlehensbasis. Dabei wurden die Mieteinnahmen nicht als Einkommen angerechnet, da sie die laufenden Kosten nicht deckten. Dem hiergegen erhobenen Widerspruch half die Antragsgegnerin mit Widerspruchsbescheid vom 05.08.2009 insoweit ab, als die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nunmehr als Zuschuss gewährt wurden. Nach den Feststellungen der Antragsgegnerin würde im Falle eines Verkaufs der Eigentumswohnung zum höchstmöglichen Preis von 65.000,00 € nach Abzug der Kreditverbindlichkeiten in Höhe von 54.207,75 € und einer Vorfälligkeitsentschädigung lediglich ein maximaler Erlös von 6.300,00 € verbleiben. Dieser Betrag bewege sich innerhalb der Vermögensfreigrenzen (Aktenvermerk vom 30.07.2009). Mit Datum vom 10.08.2009 erteilte die Antragsgegnerin einen entsprechenden Ausführungsbescheid. Hinsichtlich der Höhe des Zuschusses zur Kranken- und Pflegeversicherung wies die Antragsgegnerin den Widerspruch als unbegründ...

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