Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Bescheid über Unfallfolgen: Feststellungspflicht. Vorliegen eines Arbeitsunfalls. sozialgerichtliches Verfahren. Kostentragung gem § 192 Abs 4. Klärung erst durch Sachverständigengutachten im sich anschließenden Gerichtsverfahren
Leitsatz (amtlich)
1. Die Unfallversicherungsträger dürfen den Bescheid über die Folgen eines Arbeitsunfalls nicht auf die Feststellung unfallbedingter Behandlungsbedürftigkeit und Arbeitsunfähigkeit beschränken, sondern müssen feststellen, dass ein Arbeitsunfall vorgelegen und welche Folgen dieser hinterlassen hat (Anschluss an BSG vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R = BSGE 108, 274 = SozR 4-2700 § 11 Nr 1).
2. Wird dies erst im sich anschließenden Gerichtsverfahren durch Einholung eines Sachverständigengutachtens geklärt, können dem Unfallversicherungsträger die hierdurch entstandenen Gerichtskosten nach § 192 Abs 4 SGG auferlegt werden.
Tenor
Die Beschwerde der Beschwerdeführerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Hildesheim vom 10. September 2019 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Beschwerdeführerin anstelle der Kosten für die Einholung von Befundberichten der Ärzte D. und Dr. E. deren Kosten für die Übersendung von Röntgenaufnahmen auferlegt werden.
Die Beschwerdeführerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
I
Die Klägerin in dem abgeschlossenen sozialgerichtlichen Verfahren S 21 U 135/15 erlitt am 21. November 2014 bei ihrer Beschäftigung als Kommissioniererin einen Unfall, bei dem sie nach hinten stürzte und mit dem rechten Arm auf Betonfußboden aufschlug. Dabei zog sie sich eine Radiusköpfchenfraktur rechts und eine Fraktur an der Ellenseite der körperfernen Gelenkfläche des Vieleckbeins rechts zu. Die Beschwerdeführerin als zuständige Berufsgenossenschaft (BG) gewährte ihr zunächst Heilbehandlung und Verletztengeld.
Bei einer Nachuntersuchung am 28. April 2015 stellte der Durchgangsarzt D. noch eine Einschränkung der Beweglichkeit des rechten Ellenbogengelenks fest. Er beendete die berufsgenossenschaftliche Behandlung, weil noch bestehende Beschwerden der Klägerin auf eine Tendovaginitis zurückzuführen seien (Zwischenbericht vom 30. April 2015). Der daraufhin von der Klägerin aufgesuchte Durchgangsarzt Dr. F. nahm unter dem 30. April 2015 Arbeitsfähigkeit in Hinblick auf die Ellenbogenverletzung und eine unfallunabhängige Tendovaginitis im rechten Unterarm an; eine außerdem bestehende Schultersymptomatik sei eher nicht unfallbedingt. Der Einschätzung des Chirurgen D. widersprach die Klägerin mit einem an die Beschwerdeführerin gerichteten Schreiben vom 6. Mai 2015.
Mit Bescheid vom 26. Mai 2015 entschied die Beschwerdeführerin, dass der Unfall bei der Klägerin zu einem Bruch des Radiusköpfchens rechts und einer Absprengung des rechten Vieleckbeines (Handwurzelknochen) der rechten Hand geführt habe. Unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit hätten vom 21. November 2014 bis 27. Januar 2015 und vom 20. Februar bis 30. April 2015 bestanden. Unfallunabhängig bestünden eine Sehnenscheidenentzündung am rechten Unterarm und degenerative Veränderungen im Bereich der rechten Schulter. Der hiergegen eingelegte Widerspruch, mit dem die Klägerin auf Schmerzen im Bereich des Ellenbogens und des Handgelenks rechts verwies, blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 9. September 2015).
Hiergegen hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht (SG) Hildesheim erhoben, die das SG als Anfechtungs- und Feststellungsklage (gerichtet auf die Feststellung von Folgen des Arbeitsunfalls) und Leistungsklage (gerichtet auf Weiterbewilligung von Verletztengeld) ausgelegt hat. Das Gericht hat von den vorbehandelnden Ärzten der Klägerin gefertigte Röntgenaufnahmen beigezogen und ein Sachverständigengutachten des Orthopäden Dr. G. eingeholt, der zum Ergebnis gekommen ist, als dauerhafte Unfallfolge sei eine endgradige Bewegungseinschränkung des rechten Ellenbogens festzustellen, die keine messbare Funktionsbehinderung hervorrufe. Die Einschränkungen im Bereich des rechten Schultergelenks bzw der Daumenstrecksehne rechts seien auf unfallunabhängige Gesundheitsstörungen (Impingementsyndrom bzw Tendovaginitis) zurückzuführen.
Mit (rechtskräftigem) Urteil vom 10. September 2019 hat das SG daraufhin (ohne mündliche Verhandlung) unter Abänderung der angefochtenen Bescheide als Folgen des Arbeitsunfalls vom 21. November 2014 eine endgradige Bewegungseinschränkung des rechten Ellenbogengelenks nach in Fehlstellung verheilter Radiusköpfchenfraktur rechts und eine folgenlos verheilte unverschoben verheilte Fraktur an der Ellenseite der körperfernen Gelenkfläche des Vieleckbeins rechts festgestellt und im Übrigen die Klage abgewiesen. Neben einem Viertel der außergerichtlichen Kosten der Klägerin wurden der Beschwerdeführerin gemäß § 192 Abs 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die „Kosten für die Einholung der Befundberichte der Dres. D. und E., der Einholung des gerichtlichen Sachverständigengutachtens des Dr. H. G. und der Entschädigu...