Rechtskraft: ja
Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstweiliger Rechtsschutz. Anordnungsanspruch. Folgenabwägung. Arbeitslosengeld II. Alg II. Krankenversicherungspflicht. Versicherungspflicht in der Krankenversicherung. Leistungspflicht der Krankenkasse. Erwerbsfähigkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Kann über das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs nur nach zeitaufwändiger Prüfung der Sach- und Rechtslage entschieden werden, so ist nach gefestigter Rechtsprechung des erkennenden Senats in Ansehung der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG von einer Prüfung der Erfolgsaussicht eines Hauptsacheverfahrens abzusehen und die Entscheidung auf eine Folgenabwägung zu stützen. Voraussetzung ist, dass andernfalls schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (vgl. u.a. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 12. Dezember 2003 – L 4 KR 253/03 ER –).
2. Die Frage, ob die Leistungspflicht einer gesetzlichen Krankenkasse für einen Bezieher von Arbeitslosengeld II (§ 44a SGB II iVm § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V) in den Fällen entfällt, in denen Arbeitslosengeld II ohne Prüfung der Erwerbsfähigkeit des Antragstellers grob fahrlässig bewilligt wird, setzt eine zeitaufwändige Prüfung der Sach- und Rechtslage voraus. Sie kann grundsätzlich nicht im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes entschieden werden.
Normenkette
SGB II § 44a; SGB V § 5 Abs. 1 Nr. 2a; SGG § 86b Abs. 2; GG Art. 19 Abs. 4
Verfahrensgang
SG Hannover (Entscheidung vom 14.02.2005; Aktenzeichen S 6 KR 86/05 ER) |
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller die Kosten auch des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
I.
Das Verfahren betrifft die Kompetenz der Bundesagentur für Arbeit zur Feststellung der Erwerbsfähigkeit nach § 44a Zweites Sozialgesetzbuch (SGB II) iVm § 5 Abs. 1 Nr. 2a Fünftes Sozialgesetzbuch (SGB V).
Der Antragsteller erlitt am 27. Dezember 2004 einen embolischen Medialteilinfarkt links mit globaler Aphasie und Hemiparese rechts bei Verschluss der Aorta carotis interna links. Der Antragsteller wurde stationär in der Neurologischen Klinik des Klinikums Hannover, Nordstadt, behandelt. Seit dem 16. Februar 2005 befindet er sich in dem Reha-Zentrum Hagenhof, Langenhagen (vgl. Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Niedersachsen, Dr. C., vom 18. Februar 2005).
Der Antragsteller bezieht seit dem 13. Januar 2005 Arbeitslosengeld II (Bescheide der ARGE „JobCenter in der Region Hannover” vom 18. und 20. Januar 2005). Mit Schreiben vom 2. Februar 2005 übersandte ihm die Antragsgegnerin die Krankenversichertenkarte. Mit Fax vom 4. Februar 2005 verweigerte die Antragsgegnerin gegenüber dem Klinikum Hannover, Nordstadt, die Kostenübernahme. Auch den Kostenübernahmeantrag vom 7. Januar 2005 für die Anschlussheilbehandlung lehnte die Antragsgegnerin ab.
Im Februar 2005 hat die Betreuerin des Antragstellers beim Sozialgericht (SG) Hannover beantragt, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Krankenhauskosten zu übernehmen und eine sofortige Kostenzusage für eine Anschlussheilbehandlung zu erteilen. Das SG hat dem Antrag mit Beschluss vom 14. Februar 2005 stattgegeben. Es hat die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Kosten für den derzeitigen Aufenthalt des Antragstellers im Krankenhaus zu übernehmen sowie eine sofortige Kostenzusage für eine Anschlussheilbehandlung in Langenhagen oder in Coppenbrügge zu geben. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, der Anordnungsgrund liege in der Eilbedürftigkeit der Krankenhausbehandlung und der Durchführung der Anschlussheilbehandlung. Ein Anordnungsanspruch sei ebenfalls gegeben. Der Antragsteller sei als Bezieher von Arbeitslosengeld II nach § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V kraft Gesetz versicherungspflichtiges Mitglied der Antragsgegnerin. Diese habe keine Befugnis, diesen Versicherungsstatus zu „stornieren”. Sofern sie meine, der Antragsteller beziehe wegen seines Gesundheitszustandes zu Unrecht Arbeitslosengeld II, so ändere das nichts an ihrer Leistungsverpflichtung, wie § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V belege.
Gegen den Beschluss des SG hat die Antragsgegnerin am 22. Februar 2005 Beschwerde eingelegt. Sie meint, es fehle bereits an einem Anordnungsanspruch. Denn bei dem Antragsteller habe im Zeitpunkt der Bewilligung von Arbeitslosengeld II eindeutig keine (Rest)Erwerbsfähigkeit mehr vorgelegen. Trotzdem habe die ARGE „JobCenter in der Region Hannover” dem Antragsteller Leistungen bewilligt und damit seine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung begründet. Es könne jedoch nicht angehen, dass sich die ARGE „JobCenter in der Region Hannover” keinerlei Kenntnisse über das Fehlen der Erwerbsfähigkeit eines Antragstellers verschaffe und grob fahrlässig eine Leistungsbewilligung vornehme, an die sie – die Antragsgegnerin – gebunden sei. In Fällen, in denen sich sogar einem medizinischen L...