Entscheidungsstichwort (Thema)
Laborarzt. Abrechnung von Laborleistungen auf Überweisung eines anderen Vertragsarztes. Zuweisung von Untersuchungsmaterial gegen Entgelt. Korrektur über Plausibilitätsprüfung. Lauf der Jahresfrist nach § 45 Abs 4 S 2 SGB 10
Leitsatz (amtlich)
1. Die Abrechnung von Laborleistungen auf Überweisung eines Vertragsarztes, dem der Laborarzt hierfür eine Gegenleistung versprochen hat, ist rechtswidrig und nach § 106a Abs 2 SGB V zu korrigieren.
2. Der Lauf der Jahresfrist nach § 45 Abs 4 S 2 SGB X beginnt erst mit dem Abschluss der Anhörung des Betroffenen. Verzögert die Behörde die Anhörung, kann die Möglichkeit zur Bescheidaufhebung jedoch verwirkt sein.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 14. November 2012 geändert.
Die Klage wird insgesamt abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten beider Rechtszüge.
Die Revision wird zugelassen.
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 295.043 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen Honorarberichtigungen und -rückforderungen für die Quartale I/1998 bis III/2000.
Er ist seit April 1992 als Arzt für Mikrobiologie und Infektionsepidemiologie zur vertragsärztlichen Versorgung mit Praxissitz in E. zugelassen. Zu Beginn seiner vertragsärztlichen Tätigkeit vereinbarte er mit der Ärztin für Urologie Dipl.-Med. F. (früherer Name: G.), dass er ihr für jeden an ihn ausgestellten Überweisungsauftrag zu Laboruntersuchungen einen Betrag iHv 0,50 DM zahlen werde. Diese Zahlungen leistete der Kläger auch in den Quartalen I/1998 bis III/2000. Die in diesem Zeitraum vom Kläger bearbeiteten Laboraufträge stammten in erheblichem Umfang von Dipl.-Med. F.. Die beklagte Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) zahlte dem Kläger im genannten Zeitraum vertragsärztliches Honorar iHv insgesamt 9.598.398,63 DM.
Nachdem die Beklagte im Rahmen ihrer Abrechnungsprüfung festgestellt hatte, dass die Dipl.-Med. F. ihr sog Laborbudget (Wirtschaftlichkeitsbonus nach Nr 3452 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für vertragsärztliche Leistungen ≪EBM≫ in der seit 1. Juli 1999 geltenden Fassung) für eigene und erbrachte Laborleistungen im 3. Quartal 1999 um fast 3.000% überschritten hatte, fand am 20. September 2000 im Ärztehaus E. eine Besprechung von zwei Mitarbeitern der Beklagten und der Dipl.-Med. F. statt. Nach einem vom stellvertretenden Abrechnungsleiter der Bezirksstelle E. der Beklagten H. abgefassten Protokoll vom 21. September 2000 habe die Urologin im Verlauf des Gespräches nach anfänglichem Bestreiten die Zahlung von 0,50 DM pro Überweisung eingeräumt. Auf Initiative der Beklagten leitete die Staatsanwaltschaft E. daraufhin Ermittlungen gegen den Kläger und gegen die Urologin F. ein, die zum Urteil des Amtsgerichts (AG) E. vom 25. Juni 2007 (Az: 1605-6 Ls 111 Js 21325/00 ≪671/02≫) führten, durch das der Kläger wegen Betruges in drei Fällen und die Dipl.-Med. F. wegen Betruges in Tateinheit mit Untreue in 6.904 Fällen zu Freiheitsstrafen auf Bewährung verurteilt wurden. In dem Urteil war ua ausgeführt, dass der Kläger der Urologin F. in den Quartalen I bis III/2000 insgesamt 10.357 DM gezahlt habe. Die von ihr veranlassten Laborleistungen hätten ihr im Quartal I/2000 bestehendes Laborbudget um 7.986,2% überschritten. Die vom Kläger in den Quartalen I bis III/2000 bezogenen Honorare seien zu 30,43%, 31,20% bzw zu 21,72% durch Überweisungen der Urologin F. veranlasst worden. Auf der Grundlage eines Gutachtens des Urologen I. schätzte das AG, dass 1/3 der von Dipl.-Med. F. erteilten Laboraufträge medizinisch nicht erforderlich gewesen seien. Diese habe ihre Laborleistungen ausnahmslos gerade beim Kläger veranlasst, der ihr ein Entgelt für die Zuweisung von Untersuchungsmaterial gewährt habe.
Dipl.-Med. F. gegenüber wurde das Urteil des AG E. rechtskräftig (vgl das abschließende Urteil des Oberlandesgerichts ≪OLG≫ Oldenburg vom 26. Januar 2009 - Ss 472/08 - juris). Das gegen den Kläger gerichtete Strafverfahren wurde nach Einlegung der Berufung gem § 153 Abs 2 Strafprozessordnung (StPO) eingestellt (Beschluss des Landgerichts ≪LG≫ E. vom 10. Dezember 2008).
Nach Anhörung des Klägers (Schreiben der Beklagten vom 21. Juli 2008, Antwortschreiben vom 30. August 2008) hob die Beklagte ihre Honorarbescheide für das 1. Quartal 1998 bis zum 3. Quartal 2000 mit Bescheid vom 24. November 2008 teilweise auf und setzte das Honorar des Klägers für diese Quartale neu auf insgesamt 9.021.344,18 DM fest. Der sich daraus ergebende Differenzbetrag von (umgerechnet) 295.043,27 Euro wurde zurückgefordert. Die Honorarbescheide für die genannten Quartale beruhten auf falschen Angaben des Klägers und einer falschen Versicherung der Richtigkeit seiner Abrechnung in der Sammelerklärung. Als Folge der vom Kläger geleisteten Zahlungen iHv 0,50 DM pro Überweisungsauftrag habe zwischen ihm und Frau F. eine rechtswidrige Kooperationsform mit dem Ziel bestanden, einen persönlichen wirtschaftlichen Erfolg zu erreichen. So sei in § 31 Berufsordnung (BO...