Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialversicherungspflicht bzw -freiheit. Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH. abhängige Beschäftigung. selbstständige Tätigkeit. Vorgaben für das Vorliegen einer echten Sperrminorität. gesellschaftsvertragliche Vereinbarung

 

Leitsatz (amtlich)

Eine einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis entgegenstehende echte Sperrminorität im Sinne einer umfassenden und unbeschränkten Verhinderungsmacht in Bezug auf unerwünschte Weisungen muss dem betroffenen Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH entsprechend den Grundsätzen der Klarheit und Vorhersehbarkeit sozialversicherungs- und beitragsrechtlicher Tatbestände mit der notwendigen Eindeutigkeit gesellschaftsvertraglich umfassend eingeräumt werden und darf nicht durch eine Bindung an anderweitige nicht von der Sperrminorität erfasste Gesellschafterbeschlüsse relativiert werden.

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Lüneburg vom 13. Mai 2020 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens aus beiden Rechtszügen mit Ausnahme der nicht erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beklagte wendet sich mit ihrer Berufung gegen die mit dem angefochtenen Gerichtsbescheid vorgenommene Aufhebung ihres Bescheides vom 8. Juni 2018 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29. November 2018, mit dem sie auf der Grundlage einer nach § 28p SGB IV durchgeführten Betriebsprüfung das Vorliegen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses zwischen der Klägerin und der zu 1. beigeladenen Geschäftsführerin festgestellt und hieran anknüpfend die Klägerin als Arbeitgeberin zur Nachentrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen zu allen Zweigen der Sozialversicherung für den Prüfzeitraum 7. Januar 2014 bis 11. Februar 2018 in einer Gesamthöhe von 49.022,31 € aufgefordert hat.

Die Klägerin wird in der Rechtsform einer GmbH geführt. Gesellschafter der mit Gesellschaftsvertrag vom 06.01.2014 gegründeten und am 25. Februar 2014 im Handelsregister eingetragenen Klägerin waren in den ersten Jahren der Hauptgesellschafter K. L. mit einem Anteil von 74 % am Stammkapital und die Beigeladene zu 1. mit einem Anteil von seinerzeit 26 %. Beide Gesellschafter wurden zugleich zu einzelvertretungsberechtigten Geschäftsführern mit der Befugnis bestellt, im Namen der Gesellschaft mit sich im eigenen Namen oder als Vertreter eines Dritten Rechtsgeschäfte abzuschließen.

Ausweislich der Regelung in § 7 Abs. 4 Satz 1 des Gesellschaftsvertrages kommen Gesellschafterbeschlüsse mit einfacher Mehrheit zustande. Weiter ist dort insbesondere in Abs. 4 Satz 5 geregelt:

Die folgenden Beschlüsse bedürfen der nachstehend aufgeführten Mehrheiten der abgegebenen Stimmen:

- Abberufung und Bestellung von Geschäftsführern, Liquidatoren und Prokuristen einschließlich der Entscheidung über die Vertretungsberechtigung sowie Abschluss, Beendigung und Änderung der Anstellungsverträge mit diesen: 75 %,

- Zustimmung und Weisung zu Geschäftsführungsmaßnahmen: 75 %,

- Erlass, Änderung und Aufhebung einer Geschäftsordnung für die Geschäftsführung: 75 %,

- Feststellung des Jahresabschlusses und Ergebnisverwendung: 75 %...

Bei einer Verlegung in das Ausland ist die Zustimmung sämtlicher Gesellschafter erforderlich.

Mit Wirkung zum Folgetag schlossen die (seinerzeit noch in Gründung befindliche) Klägerin und die Beigeladene zu 1. am 6. Januar 2014 einen Anstellungsvertrag (Bl. I 187 ff. VV), wonach sie für ihre geschäftsführende Tätigkeit eine monatliche Vergütung von 2.277 € erhalten sollte (§ 9 Abs. 1). Über die Gewährung einer zusätzlichen Gratifikation sollte die Gesellschafterversammlung auf der Grundlage des jeweils letzten Jahresabschlusses entscheiden (§ 9 Abs. 2).

Nach diesem Vertrag sollte die Beigeladene zu 1. „möglichst die für das Unternehmen geltende Arbeitszeit einhalten“ (§ 6 Abs. 1), wobei sie bei notwendigem Bedarf auch darüber hinaus „jederzeit“ für „Dienstleistungen“ zur Verfügung stehen sollte. Ihr wurde ein Urlaubsanspruch im Umfang von 30 Arbeitstagen eingeräumt (§ 11). Nebentätigkeiten waren nur mit Zustimmung der Gesellschafterversammlung gestattet (§ 7 Abs. 1).

Mit Ergänzungsvertrag vom 1. Dezember 2014 (Bl. I 182 VV) wurde die monatliche Vergütung ab Januar 2015 auf 3.036 € angehoben, da die Beigeladene zu 1. ihr berufsbegleitend absolviertes Master-Studium erfolgreich abgeschlossen hatte, woraus eine „Erhöhung der wöchentlichen Arbeitszeit“ resultierte. Zur weiteren Anpassung der Vergütung wird auf S. 4 des Schriftsatzes der Klägerin vom 3. März 2021 Bezug genommen.

Die Beigeladene zu 1. ist seit 2009 bei der zu 3. beigeladenen Krankenkasse ausgehend von einer selbständigen Tätigkeit freiwillig versichert (vgl. die Bescheinigung vom 25. April 2018, Bl. I 172 VV).

Die Beigeladene zu 1. gewährte der Klägerin folgende Darlehen: am 4. Oktober 2016 in Höhe von 2.000 €, welches am 18. Oktober 2016 zurückzuzahlen war, am 28. J...

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