Entscheidungsstichwort (Thema)
Asylbewerberleistung. Sozialhilfe nach längerer Aufenthaltsdauer. rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Aufenthaltsdauer. Unzumutbarkeit der Ausreise in dem Irak
Leitsatz (amtlich)
1. Dem Wortlaut des § 2 Abs 1 S 1 AsylbLG, wonach der Ausländer die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben darf, ist zwingend zu entnehmen, dass nur rechtsmissbräuchliches Verhalten relevant sein kann, das sich auf die Dauer des Aufenthaltes kausal ausgewirkt hat. Hierbei ist das Verhalten des Ausländers während der gesamten Dauer des Aufenthalts in der Bundesrepublik - also ab Einreise - zu betrachten, nicht etwa nur der streitgegenständliche Zeitraum oder nur der Zeitpunkt ab rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens. Es kommt mithin darauf an, ob sich das rechtsmissbräuchliche Verhalten des Ausländers im Einzelfall konkret und kausal verlängernd auf die Dauer des Aufenthalts in der Bundesrepublik ausgewirkt hat. Das kausale, vorwerfbare Verhalten muss im streitgegenständlichen Leistungszeitraum noch fortwirken (Abweichung von LSG Celle-Bremen ("abstrakte Betrachtungsweise"), vom 20.12.2005, L 7 AY 40/05).
2. Bei mehreren Umständen, die aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen während des gesamten Aufenthalts in der Bundesrepublik Einfluss auf dessen Dauer haben können, sind alle Umstände im Rahmen einer Gesamtbetrachtung zu würdigen und zu gewichten.
Orientierungssatz
Zur Unzumutbarkeit der freiwilligen Ausreise eines irakischen Staatsangehörigen in seine Heimat aufgrund der dortigen Gefahrenlage.
Nachgehend
Tenor
Das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 18. Januar 2007 wird aufgehoben.
Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 24. März 2006 und vom 27. April 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Juli 2006 verurteilt, dem Kläger für den Zeitraum vom 1. Mai 2006 bis zum 31. Juli 2006 Leistungen nach § 2 Abs 1 Asylbewerberleistungsgesetz unter Anrechnung bereits erbrachter Leistungen zu gewähren.
Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu
erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Gewährung von Leistungen nach § 2 Abs. 1 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG).
Der am I. geborene Kläger ist irakischer Staatsangehöriger, nach eigenen Angaben stammt er aus J.. Er reiste am 12. Mai 2002 unter dem Namen K. in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte seine Anerkennung als Asylberechtigter. Bei der Anhörung am 23. Mai 2002 erklärte der Kläger, dass er L. heiße und dieses sein Stamm sei. Im Irak habe er eine Staatsangehörigkeitsurkunde, einen Personalausweis, Wehrpass, Führerschein und Lebensmittelkarten gehabt. Diese habe er wegen der Eile nicht mitbringen können. Sonstige Dokumente über seine Person könne er nicht vorlegen. Durch Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 9. Dezember 2002 wurde der Asylantrag abgelehnt und der Kläger unter Abschiebungsandrohung zur Ausreise aufgefordert. Die hiergegen eingereichte Klage, die sich nach teilweiser Klagerücknahme nur noch auf die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beschränkte, wurde durch Urteil des Verwaltungsgerichts (VG) Lüneburg vom 23. November 2005 - 6 A 262/05 - abgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass ein Anspruch auf Feststellung von individuellen Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 7 AufenthG ausscheide, wenn eine Erlasslage i.S.d. § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG vorliege, welche dem betroffenen Ausländer einen gleichwertigen Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) vermittele. Das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport habe im Erlasswege mit Rundschreiben vom 19. Juli 2004 (Az.: 45.11-12235/12-6-5) darauf hingewiesen, dass nach dem Beschluss der Konferenz der Innenminister- und -senatoren der Länder vom 7./8. Juli 2004 weiterhin eine tatsächliche Unmöglichkeit der zwangsweisen Rückführung vollziehbar ausreisepflichtiger irakischer Staatsangehöriger in den Irak bestehe. Vorsorglich wies das VG Lüneburg jedoch darauf hin, dass ohne die vorgenannte Erlasslage Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren sein dürfte, da nach den vorliegenden Erkenntnisquellen Überwiegendes für die Annahme spreche, dass gegenwärtig für jeden in seine Heimat zurückkehrenden Iraker landesweit eine extreme allgemeine Gefahrenlage bestehe. Dieses wurde eingehend ausgeführt; auf diese Ausführungen wird verwiesen (vgl. Bl. 6 bis 9 des Urteils).
Mit Schreiben vom 18. Januar 2006 wurde der Kläger aufgefordert, zur Passbeschaffung bei seiner Botschaft vorzusprechen. Am 30. März 2006 legte der Kläger Kopien einer irakischen Staatsbürgerurkunde und einer Identitätskarte auf den Namen “M.„ vor. Diese wiesen keine spezifischen Fälschungsmerkmale auf. Seitdem wird der Kläger von der Ausländerbehörde unter dem Namen N. geführt. Am 13. ...