Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Richtlinien über künstliche Befruchtung. IVF. ICSI. Rechtswidrigkeit wegen des Ausschlusses eines Methodenwechsels innerhalb eines IVF-Zyklus
Orientierungssatz
Die Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über ärztliche Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung (juris: KBRL) in der ab 15.11.2007 geltenden Fassung (BAnz Nr 19 S 375 vom 5.2.2008) verstoßen in Nr 8 S 5 bis 7 insoweit gegen § 27a SGB 5 und damit gegen höherrangiges Recht, als sie einen Methodenwechsel innerhalb eines IVF-Zyklus (sog Rescue-ICSI) ausschließen.
Nachgehend
Tenor
Das Urteil des Sozialgerichts Osnabrück vom 26. August 2010 und der Bescheid der Beklagten vom 29. Mai 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Oktober 2009 werden aufgehoben.
Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin 1.416,99 € zu erstatten.
Die Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Erstattung von Kosten für eine Behandlungsmaßnahme zur künstlichen Befruchtung in Höhe von 1.416,99 €. Es geht um den Wechsel der Behandlungsmethode.
Die 1974 geborene verheiratete Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Bei ihr bestanden die Diagnose primäre Sterilität, polycystisches Ovarialsyndrom, Oligomenorrhoe. Bei ihrem 1974 geborenen Ehemann sind die Diagnosen primäre Sterilität, reduzierte Progressivmotilität der Spermien, Zustand nach Leistenhernie festgestellt worden.
Die Beklagte genehmigte der Klägerin auf einen Behandlungsplan vom 25. September 2008 mit Bescheid vom 1. Oktober 2008 Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung durch In-Vitro-Fertilisation (IVF) für drei Versuche. Zu diesem Zeitpunkt war keine Indikation für eine ICSI-Behandlung gegeben. Bei der Klägerin wurden im Februar 2009 18 Follikel punktiert, 11 Eizellen gewonnen, wovon 10 Eizellen unbefruchtet blieben und bei einer Eizelle eine verzögerte Befruchtung eintrat. Bei der zweiten IVF-Therapie im Mai 2009 wurden 12 Follikel punktiert, 8 Eizellen gewonnen, die alle 8 unbefruchtet blieben. Daraufhin beantragte die Klägerin mit Schreiben vom 27. Mai 2009 unter Bezugnahme auf ein Telefonat vom 20. Mai 2009 bei der Beklagten die Genehmigung einer Behandlung mittels Intracytoplasmatischer Spermieninjektion (ICSI).
Der Behandlungsplan der Fachärzte für Frauenheilkunde und Geburtshilfe C./Dr. S. für eine Intracytoplasmatische Spermieninjektion datiert vom 13. Mai 2009. Die Klägerin wies darauf hin, dass nach Aussage der behandelnden Ärztin offensichtlich genügend schnellbewegliche Spermien vorhanden seien, denen aber die nötige Ausdauer fehle, um in die Eizellen einzudringen. Dieser ICSI-Versuch stelle die letzte Möglichkeit dar, ein eigenes Kind zu bekommen.
Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 29. Mai 2009 ab, da die Voraussetzungen der Kostenübernahme für eine künstliche Befruchtung nach den verbindlichen Richtlinien nicht vorgelegen hätten. Es seien bereits zwei Zyklen für eine IVF durchgeführt worden. Ein Wechsel der Behandlungsmethoden von IVF zu ICSI sei nur nach dem ersten Versuch einer IVF bei einem totalen Fertilisationsversagen möglich.
Hiergegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 24. Juni 2009 Widerspruch ein. Aufgrund des totalen Fertilisationsversagens trotz Gewinnung von Eizellen innerhalb der zweiten IVF-Behandlung sei es medizinisch nicht zu vertreten gewesen, nochmals eine IVF-Behandlung durchzuführen, wenngleich sie im Behandlungsplan genehmigt worden sei und deshalb hätte durchgeführt werden können. Die dritte IVF-Behandlung wäre nicht notwendig gewesen i.S. des § 27 a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V), weil sie nicht angemessen auf die erzielten Befunde in der zweiten IVF-Behandlung reagiert hätte. Es hätte keine hinreichende Aussicht auf die Herbeiführung einer Schwangerschaft bestanden. Eine Weiterbehandlung mit der genehmigten dritten IVF-Behandlung anstelle des Methoden-Wechsels zur IVF/ICSI-Behandlung wäre nicht ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich gewesen iS des § 12 SGB V, womit diese dritte IVF-Behandlung nicht hätte genehmigt werden dürfen. Nach diesem medizinisch zu beurteilenden Einzelfall könne es nicht darauf ankommen, dass Nr. 8 Satz 6 der Richtlinien nur nach der ersten IVF-Behandlung im Falle des totalen Fertilisationsversagens eine IVF/ICSI-Behandlung gewähre.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 13. Oktober 2009 zurück. Nach § 27a Abs. 4 SGB V bestimme der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) in den Richtlinien nach § 92 SGB V die medizinischen Einzelheiten zu Voraussetzungen, Art und Umfang der Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft. Auf der Grundlage dieser Vorschriften seien die Richtlinien über ärztliche Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung beschlossen worden. Diese seien unmittelbar verbindliches und nach außen wirksames Recht, mit dem die Leistungsansprüche der Versicherten f...