Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Berufskrankheit gem BKV Anl 1 Nr 1301. haftungsbegründende Kausalität. aromatische Amine. Harnblasenkarzinom. Dosis-Wirkungs-Beziehung: Modell von Weiß, Brüning und Henry. Nachweis. Elektroinstallateur bzw -monteur
Leitsatz (amtlich)
Zum Ursachenzusammenhang zwischen der berufsbedingten Einwirkung aromatischer Amine und einem Harnblasenkarzinom iSd Nr 1301 der Anl 1 zur BKV.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 23. Mai 2011 wird zurückgewiesen.
Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Anerkennung eines Harnblasenkarzinoms des Klägers als Berufskrankheit (BK) nach Nr 1301 der Anl 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV; “Schleimhautveränderungen, Krebs oder andere Neubildungen der Harnwege durch aromatische Amine„).
Der 1933 geborene Kläger absolvierte eine Lehre zum Elektroinstallateur und war von 1950 bis 1965 (mit Unterbrechungen) als Elektroinstallateur bzw -monteur beschäftigt. Zuletzt war er vom 16. Juli 1958 bis zum 16. Oktober 1965 Elektromonteur in den Gummiwerken der F. in G.. Ab Oktober 1965 bis zum Ende seiner beruflichen Tätigkeit 1998 war er Tankwart bzw Pächter einer Tankstelle. Erstmals im Oktober 2000 wurde bei ihm ein Urothel-Karzinom der Harnblase diagnostiziert, das trotz operativer Behandlung in den Folgejahren wiederholt rezidivierte (vgl zusammenfassend den Bericht des Urologen H. vom 13. Dezember 2006) und 2007 zur Entfernung der Harnblase führte.
Im Juni 2007 wurde der Krankheitsfall der Berufsgenossenschaft der chemischen Industrie (als Rechtsvorgängerin der Beklagten; im Folgenden: BG) gemeldet, den der Kläger zunächst auf seine Tätigkeit als Tankstellenpächter zurückführte. Nachdem der Arbeitsmediziner Dr. I. als Gewerbearzt darauf hingewiesen hatte, dass die Gummiindustrie ein klassischer Risikobereich für beruflich erworbene Harnblasenkarzinome sei, führte die BG durch ihren Technischen Aufsichtsdienst (TAD) Ermittlungen zur Arbeitsplatzexposition bei der F. in G. durch. Danach war es von Juli 1958 bis Ende Oktober 1965 Aufgabe des Klägers, als Elektroinstallateur in der Flurförderwerkstatt Gabelstapler zu warten oder instand zu setzen. Nach Angaben des Klägers seien die Arbeiten zu 2/3 in der Werkstatt und zu 1/3 in der Produktion durchgeführt worden; detaillierte Angaben zu den zeitlichen Anteilen der Bereiche Lager, Konfektionierung, Vulkanisation und Mischerei seien ihm nicht mehr möglich. Auf der Grundlage einer angenommenen gleichmäßigen Verteilung der Zeitanteile errechnete der TAD eine Exposition gegenüber dem aromatischen Amin β- (bzw 2-) Naphthylamin (BNA) iHv insgesamt 0,6 mg. Außerdem sei von einer Exposition gegenüber o-Toluidin iHv ca 10 % des zuletzt geltenden TRK-Grenzwertes auszugehen (Bericht vom 3. Mai 2007). Dr. I. ging - unter Hinweis auf ein von ihm angefertigtes Gutachten zu den Krebserkrankungen der Harnblase und Harnwege aufgrund von Tätigkeiten in der niedersächsischen Gummiindustrie aus dem Jahr 2001 - von einer BK-rechtlich relevanten Exposition zumindest gegenüber BNA aus.
Mit Bescheid vom 8. Oktober 2007 lehnte die BG das Vorliegen einer BK nach der Nr 1301 ab. Nach dem derzeitigen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstand gebe es bei einer Exposition gegenüber aromatischen Aminen in der vom TAD festgestellten Höhe keinen Hinweis darauf, dass ein signifikant erhöhtes Risiko bestehe, an Blasenkrebs zu erkranken. Soweit Dr. I. von einer höheren Schadstoffeinwirkung ausgehe, habe er keine Hinweise gegeben, die seiner Vermutung die Qualität eines Belegs geben könnten. Der hiergegen eingelegte Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 14. Februar 2008, abgesandt am 15. Februar 2008).
Hiergegen hat der Kläger am 17. März 2008 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Hannover erhoben, zu deren Begründung er sich auf die Einschätzung durch Dr. I. berufen hat. Sämtliche von ihm gewartete bzw reparierte Fahrzeuge seien mit einem schmierigen Belag überzogen gewesen, sodass die ursprüngliche Farbe der Fahrzeuge nicht mehr erkennbar gewesen sei. Schutzmaßnahmen oder Schutzkleidung habe es seinerzeit nicht gegeben.
Das SG hat ein Gutachten des Facharztes für Arbeitsmedizin Dr. J. (vom 31. März 2009) eingeholt, der den Kausalzusammenhang zwischen der beruflichen Tätigkeit des Klägers und den damit einhergehenden arbeitsstofflichen Belastungen durch primäre aromatische Amine und dem Auftreten des Urothel-Karzinoms der Harnblase nicht für hinreichend wahrscheinlich gehalten hat. Demgegenüber blieb Dr. I. in seiner vom SG angeforderten Stellungnahme vom 17. Juli 2009 der Auffassung, der Zeitraum der Tätigkeit und die Art der Tätigkeit des Klägers hätten zu einer Exposition gegenüber Harnblasenkrebs erzeugenden aromatischen Aminen geführt, die als wesentlich für die Entstehung des Urothel-Karzinoms der Harnblase zu betrachten sei.
Mit Urteil vom 23. Mai ...