Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Rücknahme eines bestandskräftigen Statusfeststellungsbescheides für die Vergangenheit. statthafte Klageart. Vertrauensschutz Drittbetroffener. Sozialversicherungspflicht bzw -freiheit. Dozent. abhängige Beschäftigung. selbstständige Tätigkeit. Abgrenzung
Leitsatz (amtlich)
1. Wird die Rücknahme eines bestandskräftigen Statusfeststellungsbescheides begehrt, ist statthafte Klageart die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage.
2. § 44 Abs 1 S 1 SGB X berechtigt nicht zur Rücknahme eines Statusfeststellungsbescheides, der bei seinem Erlass bereits rechtswidrig war.
3. Schützenswerte Interessen Drittbetroffener sind bei Anwendung des § 44 Abs 2 SGB X nicht nur in Bezug auf Änderungen für die Zukunft, sondern auch und erst recht für die Vergangenheit zu berücksichtigen.
Orientierungssatz
Zur sozialversicherungsrechtlichen Beurteilung einer Tätigkeit als Dozent am Studienkolleg auf der Basis von selbstständige Dienstverträgen (hier: selbstständige Tätigkeit).
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 11. September 2019 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens die Rücknahme eines früheren Statusfeststellungsbescheides sowie die Feststellung, dass seine Tätigkeit als Dozent am K. L. vom 15. März 2011 bis 8. Juli 2011 im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses der Versicherungspflicht unterliegt.
Das Niedersächsische Studienkolleg ist eine Bildungseinrichtung des Landes Niedersachsen an der M. N. O. (im Folgenden Beigeladene zu 1). Die Ausbildung am Kolleg hat das Ziel, ausländische Studienbewerber, deren Schulabschlusszeugnis nicht als gleichwertig mit dem deutschen Abitur angesehen wird, zu einem Studium an einer deutschen Universität oder Hochschule zu berechtigen. Die Ausbildung dauert in der Regel zwei Semester (entspricht einem Jahr) und endet mit der sogenannten Feststellungsprüfung. Den Unterricht leisten dort sowohl festangestellte Lehrkräfte als auch sogenannte Honorardozenten.
Der Kläger ist Diplom-Ökonom. Hauptberuflich war und ist er Mitinhaber eines Gastronomiebetriebs (Gewerbeanmeldung vom 22. August 2008). Ab dem Jahr 2011 übernahm er Lehraufträge am K. L.. Konkret verpflichtete er sich gegenüber der Beigeladenen zu 1), vom 15. März 2011 bis 8. Juli 2011 und vom 29. August 2011 bis 11. Januar 2012 Kollegiaten im Fach BWL und VWL auf die Feststellungsprüfung sowie vom 15. März 2011 bis 31. August 2011 Kollegiaten im Fach BWL auf das Obersemester vorzubereiten („Selbstständige Dienstverträge“ vom 10. März 2011 und vom 20. Juli 2011). Neben der eigentlichen Lehrtätigkeit führte er am Kolleg sogenannte Vortests mit den Studienbewerbern durch. Außerdem wirkte er bei der Erstellung und Durchführung von Feststellungsprüfungen mit.
Bereits vor den Dozententätigkeiten für die Beigeladene zu 1) führte der Kläger nach eigenen Angaben Lehraufträge an der Fachhochschule O. mit gleichen Inhalten und Tätigkeiten durch.
Im Zuge der ersten Lehraufträge am K. L. 2011 stellte die Beklagte entsprechend den Anträgen der Beigeladenen zu 1) und des Klägers vom 30. März 2011 bzw. 17. August 2011 gegenüber beiden mit Bescheiden vom 6. Dezember 2011 fest, dass die Tätigkeit des Klägers als Dozent bei der Beigeladenen zu 1) seit dem 15. März 2011 nicht im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt werde, weshalb in dieser Tätigkeit keine Versicherungspflicht als abhängig Beschäftigter in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung bestehe.
Ab Oktober 2012 folgten weitere Lehraufträge auf Basis abgeschlossener „Selbstständiger Dienstverträge“ zwischen dem Kläger und der Beigeladenen zu 1) (Verträge vom 29. August 2012, 13. September 2012, 8. März 2013, 4. September 2013 und 23. Oktober 2013). Im Zuge weiterer Anträge des Klägers und der Beigeladenen zu 1) stellte die Beklagte für die Zeiten ab dem 1. Oktober 2012 unter Bezugnahme auf die konkreten Lehraufträge wiederholt fest, dass keine Versicherungspflicht als abhängig Beschäftigter in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung bestehe (Bescheide vom 18. April 2013, 12. Juni 2013, 15. November 2013 und 5. Juni 2014).
Seit dem 15. April 2016 ist der Kläger im Rahmen eines unbefristeten Beschäftigungsverhältnisses als Arbeitnehmer auf Teilzeitbasis - zunächst im Umfang von 35 % und seit dem 15. November 2018 im Umfang von 45 % der durchschnittlichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von entsprechenden Vollbeschäftigten - für die Beigeladene zu 1) tätig (Arbeitsvertrag vom 12. April 2016; Änderungsvertrag vom 7. November 2018; Urteil des Arbeitsgerichts O. vom 15. August 2019).
Mit Schriftsatz vom 24. November 2016 (eingegangen am 28. November 2016) beantragte der Kläger über seinen Bevollmächtigten bei der Beklagten, den Bescheid vom 6. Dezember 2011 zu ...