Entscheidungsstichwort (Thema)

Verwaltungsverfahren. Erstattung von Kosten im Vorverfahren. Erstattung der notwendigen Aufwendungen der Behörde durch den Widerspruchsführer bei erfolglosem Widerspruch. Asylbewerberleistung. Anwendbarkeit des § 64 SGB 10. Landesrecht Niedersachsen. Absehen von der Kostenerhebung aus Billigkeitsgründen. Ermessensreduzierung auf Null. allgemeiner Gleichheitssatz. Rechtswahrnehmungsgleichheit

 

Leitsatz (amtlich)

1. § 64 SGB X ist auf Verfahren nach dem AsylbLG weder unmittelbar noch analog anwendbar (Anschluss an BSG vom 16.1.2019 - B 7 AY 2/17 R = SAR 2019, 57 = juris RdNr 7).

2. Von der Erhebung von Kosten für ein Widerspruchsverfahren in Angelegenheiten nach dem AsylbLG ist in Niedersachsen aus Gründen der Gleichbehandlung (Art 3 Abs 1 GG) und der Rechtswahrnehmungsgleichheit (Art 3 Abs 1 GG iVm Art 20 GG) in aller Regel gemäß § 11 Abs 2 S 2 NVwKostG (juris: VwKostG ND) abzusehen.

 

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 11. Januar 2019 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin auch für das Berufungsverfahren zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist die Festsetzung von Vorverfahrenskosten für eine asylbewerberleistungsrechtliche Angelegenheit.

Die Klägerin ist kosovarische Staatsangehörige und reiste 1988 nach Deutschland ein. Sie ist seit 2006 im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG und bezog über mehrere Jahre Leistungen nach § 3 AsylbLG. Mit Bescheid des Beklagten vom 8.5.2014 waren ihr ergänzend zu ihrem Erwerbseinkommen als Haushaltshilfe auf MiniJob-Basis von 236,00 € monatlich Leistungen nach § 3 AsylbLG für Mai 2014 bewilligt worden.

Am 17.6.2014 beantragte die Klägerin die Bewilligung von Leistungen nach § 2 AsylbLG anstelle der ihr gewährten Leistungen nach § 3 AsylbLG. Einen ebenfalls auf Leistungen nach § 2 AsylbLG gerichteten Eilantrag der Klägerin lehnte das Sozialgericht (SG) Hildesheim mit Beschluss vom 26.11.2014 (- S 42 AY 45/14 ER -) ab. Der Senat wies die hiergegen eingelegte Beschwerde der Klägerin mit Beschluss vom 19.3.2015 (- L 8 AY 93/14 B ER -) zurück. In den Gründen führte er aus, dass das Schreiben vom 17.6.2014 als Widerspruch gegen die konkludent ergangene Leistungsbewilligung für Juni 2014 zu werten sei und die Bewilligungsbescheide für Folgezeiträume in analoger Anwendung von § 86 SGG Gegenstand des Widerspruchsverfahrens würden.

Zum 1.3.2015 stellte der Beklagte die Leistungsgewährung nach dem AsylbLG ein, da die Klägerin nicht mehr leistungsberechtigt nach dem AsylbLG, sondern nach dem SGB II war.

Den Widerspruch vom 17.6.2014 wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 5.2.2016 zurück und entschied, dass die von der Klägerin zu tragenden Kosten des Widerspruchsverfahrens 258,63 € betragen. Zur Begründung der Kostenentscheidung verwies er auf Vorschriften des Niedersächsischen Verwaltungskostengesetzes (NVwKostG), u.a. auf § 11 Abs. 2, und die allgemeine Gebührenordnung (AllGO).

Am 11.2.2016 hat die Klägerin Klage gegen den Widerspruchsbescheid vom 5.2.2016 beim SG erhoben und sich ausschließlich gegen die im Widerspruchsbescheid getroffene Kostenentscheidung gewandt. Sie ist der Auffassung, keine Kosten für das aus ihrer Sicht erfolglose Widerspruchsverfahren tragen zu müssen. Das Kostenprivileg des § 64 SGB X gelte jedenfalls in entsprechender Anwendung auch für Angelegenheiten nach dem AsylbLG. Es sei nicht nachvollziehbar, dass sie nicht nur die beantragten Leistungen nicht erhalten habe, sondern für das erfolglos gebliebene Widerspruchsverfahren nun auch noch die Kosten tragen solle.

Der Beklagte hat den Widerspruchsbescheid als rechtmäßig verteidigt. § 64 SGB X, der ein Kostenprivileg in Widerspruchsverfahren nach dem Sozialgesetzbuch beinhaltet, sei nicht auf Angelegenheiten des AsylbLG anwendbar. Schon nach dem Wortlaut seien nur Verfahren nach dem Sozialgesetzbuch genannt. § 9 AsylbLG erkläre § 64 SGB X gerade nicht für entsprechend anwendbar. Diese Regelung spreche dafür, dass der Gesetzgeber explizit keine Kostenfreiheit für das Widerspruchsverfahren im Bereich des Asylbewerberleistungsrechts vorgesehen habe. Für eine Regelungslücke sei nichts ersichtlich.

Das SG hat der Klage mit Urteil vom 11.1.2018 stattgegeben und den Widerspruchsbescheid insoweit aufgehoben, als die Klägerin zur Tragung von Kosten des Widerspruchsverfahrens in Höhe von 258,63 € verpflichtet wurde. Zur Begründung hat es ausgeführt, eines gesonderten Widerspruchsverfahrens gegen die Kostenentscheidung habe es nicht bedurft. Die Kostenerhebung sei rechtswidrig, da das Widerspruchsverfahren in analoger Anwendung des § 64 Abs. 1 SGB X kostenfrei sei. So handele es sich beim AsylbLG um zumindest materielles Sozialhilferecht. Die Entstehungsgeschichte des § 64 Abs. 1 SGB X und das zeitliche Verhältnis der Entstehung sprächen für eine planwidrige Regelungslücke, da § 64 SGB X zum 1.1.1981 in Kraft getreten sei, das AsylbLG hingegen zum 1.11.199...

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