Entscheidungsstichwort (Thema)

Erstattungsstreit zwischen Rehabilitationsträgern. Zuständigkeitsklärung. doppelte Antragsweiterleitung. Erstattungsanspruch des drittangegangenen Trägers. Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben

 

Orientierungssatz

1. Ein Erstattungsanspruch nach § 14 Abs 4 S 1 SGB 9 scheitert nicht daran, dass es eine doppelte Weiterleitung eines Rehabilitationsantrags und damit einen drittangegangenen Träger gar nicht geben dürfte.

2. Ein Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben liegt insbesondere dann vor, wenn ein sich selbst rechtswidrig verhaltender Träger die Erstattung von Aufwendungen verweigern kann, die überhaupt nur deswegen entstanden sind, gerade weil er sich rechtswidrig verhalten hat.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 08.03.2016; Aktenzeichen B 1 KR 27/15 R)

 

Tenor

Das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 25. Juni 2012 wird aufgehoben.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Betrag von 652,32 € zu zahlen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens aus beiden Rechtszügen. Der Streitwert wird auf 652,32 € festgesetzt.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Am 4. August 2009 beantragte der bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte G. (Versicherte) Leistungen zur medizinischen Rehabilitation. Die Beklagte wartete vor einer Entscheidung den Eingang einer Verordnung zur medizinischen Rehabilitation des behandelnden Arztes des Versicherten am 24. August 2009 ab und leitete den Antrag dann an die Deutsche Rentenversicherung (DRV) Bund weiter, wo er am 26. August 2009 einging. Diese wiederum stellte nach Prüfung ihrer Zuständigkeit fest, dass das Versichertenkonto bei der Klägerin, der DRV Braunschweig-Hannover, geführt wurde und leitete den Antrag erneut weiter. Bei der DRV Braunschweig-Hannover ging der Antrag am 3. September 2009 ein.

Die Klägerin bewilligte dem Versicherten mit Bescheid vom 9. September 2009 Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, die in der Zeit vom 3. bis 24. November 2009 erbracht wurden.

Mit Schreiben vom 23. Februar 2010 wandte sich die Klägerin an die Beklagte und bat um Erstattung der entstandenen Aufwendungen für die Rehabilitation von insgesamt 2.786,21 €. In diesem Betrag waren Pflegekosten von 1.843,17 €, Fahrtkosten von 284,09 €, Übergangsgeld von 488,29 € sowie Beiträge zur Rentenversicherung von 29,90 €, zur gesetzlichen Krankenversicherung von 104,21 €, zur Pflegeversicherung von 29,92 € sowie zur Unfallversicherung von 6,63 € enthalten.

Mit Schreiben vom 18. März 2010 erkannte die Beklagte ihr Leistungspflicht hinsichtlich der Pflege- und Fahrtkosten an und erstattete der Klägerin insgesamt 2.127,26 €. Die geltend gemachten Beiträge zur Unfallversicherung seien allein schon deswegen nicht erstattungspflichtig, weil die Erhebung durch die Verwaltungsberufsgenossenschaft im sogenannten Umlageverfahren erst zwei Jahre nach Entstehung rückwirkend erfolge. Das Übergangsgeld sei nicht erstattungsfähig, weil der Versicherte als Bezieher von Arbeitslosengeld II keinen Anspruch auf Krankengeld habe.

Mit Schreiben vom 13. April 2010 machte die Klägerin erneut einen Anspruch auf Erstattung sämtlicher Kosten nach § 14 Abs. 4 Satz 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) geltend. Nachdem die Beklagte keine weiteren Zahlungen leistete, hat die Klägerin am 26. August 2010 Klage vor dem Sozialgericht Hannover erhoben, wobei sie auf die Geltendmachung von 6,63 € für die Unfallversicherung verzichtete und ihren Erstattungsanspruch auf 652,32 € beschränkte. Zur Begründung hat sie ausgeführt, die Beklagte sei zur Erstattung der geltend gemachten Kosten verpflichtet, denn diese hätte die Leistung eigentlich selbst erbringen müssen. Sie, die Klägerin, habe im vorliegenden Fall als unzuständiger drittangegangener Träger nur deswegen geleistet, um dem Anspruch des Versicherten aus § 14 SGB IX auf eine möglichst schnelle Entscheidung über seinen Antrag Rechnung zu tragen. Aus diesem Grund sei auch eine erneute “Zurückverweisung„ an den zweitangegangenen Träger, die Deutsche Rentenversicherung Bund, aus ihrer Sicht nicht in Betracht gekommen. Die Beklagte sei zur Zahlung verpflichtet, auch wenn sie das Übergangsgeld und die Beiträge zur Sozialversicherung nicht hätte zahlen müssen, wenn sie selbst als zuständiger Träger geleistet hätte. Denn § 14 Abs. 4 Satz 1 SGB IX verpflichte die Beklagte zur Erstattung sämtlicher, dem eigentlich unzuständigen Träger entstandenen Aufwendungen.

Die Beklagte hat vorgetragen, die Klägerin habe eigentlich überhaupt keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten nach § 14 Abs. 4 SGB IX, denn darin sei nur der Erstattungsanspruch des zweitangegangenen Trägers geregelt, nicht jedoch der eines drittangegangenen Trägers. Der Anspruch der Klägerin bestimme sich daher nach § 105 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Diesen Anspruch habe die Beklagte erfüllt.

Mit Urteil vom 25. Juni 2012 hat das SG die Klage abgewiesen. Dabei hat es sich den Standpunkt der Beklagten zu eigen gemacht und die Auffassung vertreten, die Klägerin habe ...

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