Entscheidungsstichwort (Thema)
Unfallversicherung. Feststellung der Versicherungspflicht eines auf einem Schiff unter ausländische Flagge tätigen Seemanns. Zuständigkeit. Ausstrahlung. erweiternde Auslegung des § 4 SGB 4. Annahme der zeitlichen Begrenzung der Auslandstätigkeit (hier: zeitliche Begrenzung der Ausflaggung). Verhältnis der Voraussetzungen in § 2 Abs 3 S 1 Nr 2 SGB 4 zu § 4 SGB 4
Orientierungssatz
1. In Bezug auf die Gesamtsozialversicherungspflicht ist zur Vermeidung von divergierenden Entscheidungen hinsichtlich der Ausstrahlung nach § 4 SGB 4 eine erweiternde Auslegung von § 4 SGB 4 als Kompetenznorm im Sinne von § 28h Abs 2 S 1 iVm Abs 1 SGB 4 für die Feststellung auch der Unfallversicherungspflicht vorzunehmen. Zu berücksichtigen ist hierbei die Funktion der Krankenkassen (vgl BSG vom 15.7.2009 = B 12 KR 14/08 R = SozR 4-2500 § 7 Nr 1 = juris RdNr 17), wonach Krankenkassen in ihrer Funktion als Einzugsstelle unter anderem die Aufgabe übertragen ist, in gesetzlicher Verfahrens- und Prozessstandschaft anstelle der hierfür originär zuständigen Träger über die Versicherungspflicht zu entscheiden.
2. Vor dem Hintergrund des vom Gesetzgeber intendierten Schutzes der deutschen Seeleute ist für die Annahme einer hinreichend konkreten zeitlichen Begrenzung einer Entsendung an einen Beschäftigungsort im Ausland nicht erforderlich, dass im Arbeitsvertrag selbst eine zeitliche Befristung mit konkretem Datum aufgenommen worden ist. Vielmehr ist eine solche Begrenzung auch anzunehmen, wenn sich die zeitliche Begrenzung zB durch Einbeziehung eines anderen zeitlichen Rahmens ergibt (hier: Ausflaggung des Schiffs unter liberianische Flagge war nach dem Bundesflaggenrecht zeitlich begrenzt für zwei Jahre ausgesprochen worden, sodass auch die aufgrund des eigentlich unbefristeten Vertrages beruhende Beschäftigung dieser zeitlichen Begrenzung unterlag).
3. Bei der Versicherung nach § 2 Abs 3 S 1 Nr 2 SGB 4 und der Versicherung kraft Ausstrahlung nach § 4 SGB 4 handelt es sich um zwei unterschiedliche Versicherungstatbestände mit eigenen Voraussetzungen.
Nachgehend
Tenor
1. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bremen vom 27.11.2014 wird aufgehoben.
2. Die Klage wird abgewiesen.
3. Die Klägerin hat die Kosten beider Instanzen zu tragen.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren und für das Verfahren vor dem Sozialgericht wird auf jeweils 5.000,-- Euro festgesetzt.
5. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Feststellung der Versicherungspflicht eines auf einem Schiff unter ausländischer Flagge tätigen Seemanns für die Zeit vom 24. November 2011 bis 20. März 2013.
Die Klägerin war Eigentümerin des Tankmotorschiffs "N. " und beschäftigte als Arbeitgeberin die auf diesem Schiff angestellten Seeleute. Die N. führte bis zum 23. November 2011 die deutsche Bundesflagge, vom 24. November 2011 bis 20. März 2013 die Flagge Liberias und danach wieder die deutsche Bundesflagge. Laut "letter of consent" vom 21. November 2011 war der N. das sofortige und (zumindest vorläufig) zeitlich unbegrenzte Recht zum Führen der Flagge Liberias eingeräumt worden. Das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie bestätigte mit Schreiben vom 17. Dezember 2012, dass eine Ausflaggung nach § 7 Flaggenrechtsgesetz für die Zeit vom 24. November 2011 bis 23. November 2013 nach Republik Liberia ordnungsgemäß erteilt worden sei. Nach einem Telefonat mit der Berufsgenossenschaft für Verkehr (BG), der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 2., erbat die Klägerin von der BG mit Schreiben vom 9. März 2011 eine Stellungnahme zur Versicherungspflicht in der Unfallversicherung für die angestellten Seeleute. Mit Vertrag vom 30. November 2011 wurde der Beigeladene zu 1. mit einem monatlichen Gehalt in Höhe von 5.927 € brutto (71.124 € pro Jahr) unbefristet als Kapitän angestellt. Die Versicherungspflichtgrenzen für die gesetzliche Krankenversicherung lagen im Jahr 2011 bei 49.500 €, im Jahr 2012 bei 50.850 € und im Jahr 2013 bei 52.200 €. Im Vertrag ist der Passus enthalten: “The vessel is trading under the flag of Liberia. Therefore, the RLM 300 (Public Folder) is applicable.„
Die Klägerin beschäftigte den Beigeladenen zu 1. bereits unter der deutschen Bundesflagge. Die BG leitete das Schreiben der Klägerin vom 9. März 2011 an die Beklagte als Einzugsstelle der Sozialversicherungsbeiträge weiter, die wiederum zunächst die Heuerverträge mit Anschriften und Rentenversicherungsnummern der Seeleute anforderte und mit Bescheid vom
15. Mai 2012 die "Versicherung kraft Ausstrahlung für O., VSNR P. " seit Flaggenwechsel in allen Zweigen der Sozialversicherung feststellte. Für die Zeit der "Ausflaggung" liege eine Entsendung im Sinne von § 4 SGB IV mit einhergehender Sozialversicherungspflicht vor.
Hiergegen erhob die Klägerin am 15. Juni 2012 Widerspruch, im Wesentlichen mit der Begründung, dass eine Versicherungspflicht nach § 2 Abs. 3 SGB IV ausscheide, weil Liberia der Unt...