Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehindertenrecht. Merkzeichen H. Hilflosigkeit. erforderlicher Hilfebedarf von zwei Stunden täglich. sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Entziehung des Merkzeichens nur bei wesentlicher Änderung der Verhältnisse. Eintritt der Volljährigkeit. kein automatischer Wegfall der Voraussetzungen. Erforderlichkeit einer wesentlichen Änderung des Hilfebedarfs. ständige Überwachung wegen Antriebsschwäche. ständige Bereitschaft zur Hilfeleistung. zeitlich verteilte Unterstützungsleistungen. Neufeststellung des GdB. Erforderlichkeit einer ausdrücklichen Aufhebung des bisherigen GdB-Bescheids
Orientierungssatz
1. Für die Hilflosigkeit iS des § 33b Abs 6 EStG als Voraussetzung des Merkzeichens H ist ein Hilfebedarf im Umfang von wenigstens zwei Stunden am Tag erforderlich (Anschluss an BSG vom 24.11.2005 - B 9a SB 1/05 R = SozR 4-3250 § 69 Nr 3).
2. Eine Entziehung des Merkzeichens H nach § 48 SGB 10 darf nicht erfolgen, wenn der behinderte Mensch das 18. Lebensjahr erreicht hat, weiterhin jedoch ein genügender Hilfebedarf festzustellen ist (hier: Erforderlichkeit einer ständigen Überwachung und Ermahnung wegen Verunsicherung und Antriebslosigkeit, einer ständigen Erreichbarkeit sowie von zeitlich verteilten Unterstützungsleistungen).
3. Die Neufeststellung des GdB durch die Versorgungsverwaltung bedarf - neben der Neufeststellung des GdB für die Zukunft selbst - grundsätzlich gleichzeitig einer ausdrücklichen Aufhebungsentscheidung hinsichtlich des bisher geltenden Feststellungsbescheides (vgl LSG Celle-Bremen vom 26.9.2018 - L 13 SB 89/16).
Tenor
Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 14. Juni 2017 wird zurückgewiesen.
Das beklagte Land hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten in beiden Instanzen zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten im Berufungsverfahren um die Entziehung des Merkzeichens H nach den Vorschriften des Sozialgesetzbuches Neuntes Buch (SGB IX).
Bei der 1996 geborenen Klägerin war mit Bescheid vom 20. Januar 2010 ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 sowie - unbefristet - das Merkzeichen H festgestellt worden. Als Funktionsstörung hatten dem „autistische Störungen“ zugrunde gelegen.
Bereits in den Jahren 2012/2013 hatte das beklagte Land versucht, den bei der Klägerin festgestellten GdB herabzusetzen und ihr das Merkzeichen H zu entziehen. In diesem Zusammenhang waren diverse therapeutische und ärztliche Unterlagen über die Klägerin beigezogen worden. Auf diese Unterlagen, wie sie sich im Verwaltungsvorgang finden, wird Bezug genommen. Diesen Versuch der Entziehung beendete das beklagte Land mit Abhilfebescheid vom 20. November 2013. Darin heißt es im Verfügungssatz:
„Wie bisher beträgt der Grad der Behinderung (GdB) 50.
Das Merkzeichen H wird wie bisher festgestellt.“
Im Zuge des im Jahre 2014 erneut eingeleiteten Neufeststellungsverfahrens gelangte zunächst ein Entwicklungsbericht des Autismus-Therapie- und Beratungszentrums vom 31. März 2014 zum Vorgang. Darin wird unter anderem über Fortschritte der Klägerin im therapeutischen Prozess berichtet. Weiter wird aber auch mitgeteilt, die Klägerin könne nach wie vor autonom keine öffentlichen Verkehrsmittel nutzen. In einer ersten Auswertung gelangte der Ärztliche Dienst des beklagten Landes am 23. Juni 2014 zu dem Ergebnis, es läge keine wesentliche Änderung in den Verhältnissen vor, jedoch sei das Merkzeichen H nach dem Erreichen des 18. Lebensjahres nicht mehr festzustellen.
Sodann gelangte noch ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen Niedersachsen vom 20. Mai 2014 zum Vorgang. Daraus lässt sich - unter anderem - entnehmen, dass bei der Klägerin nach wie vor eine Einschränkung der Alltagskompetenz in ganz erheblichem Maße vorliegt. Auch ein Bescheid der Niedersächsischen Landesschulbehörde vom 30. Juni 2014 wurde zu den Akten gereicht. In einer Stellungnahme des Ärztlichen Dienstes des beklagten Landes (vom 3. November 2014 - Dr. H.) heißt es: „… können unter Würdigung des Pflegebedürftigkeitsgutachtens (die) Voraussetzungen für die Annahme des Merkzeichens H im Sinne der VMG Teil A Nummer 4 c als erfüllt angenommen werden. Es wird vorgeschlagen das Merkzeichen H auch ab Vollendung des 18. Lebensjahres also ab Juni 2014 zuzuerkennen.“ In einer weiteren Stellungnahme des Ärztlichen Dienstes (Dr. I. unter dem 19. Dezember 2014) heißt es: „Der Stellungnahme kann nicht gefolgt werden. Hilflosigkeit im Sinne der Versorgungsmedizin-Verordnung liegt nicht mehr vor. Die Besonderheiten, die mit dem Nachteilsausgleich H bei Kindern und Jugendlichen berücksichtigt werden, finden nach Vollendung des 18. Lebensjahres keine Berücksichtigung mehr. Wie bisher bestehen geringe bis mittelgradige soziale Anpassungsschwierigkeiten, sodass ein GdB von 50 weiterhin zutreffend ist, jedoch nicht mehr der Nachteilsausgleich H.“
Daraufhin hob das beklagte Land mit hier angefochtenen Bescheid vom 24. März 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10...