Entscheidungsstichwort (Thema)
Soziales Entschädigungsrecht. Gewaltopfer. naher Angehöriger. späteres Versterben im Krankenhaus. Schockschaden. Traumatisierung. fehlender Unmittelbarkeitszusammenhang
Leitsatz (amtlich)
Zur Abgrenzung eines Schockschadens von einer Traumatisierung durch den nach der Schädigung eingetretenen Tod eines nahen Angehörigen.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 4. September 2013 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten im Berufungsverfahren um Schädigungsfolgen und Versorgungsleistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG).
Der Vater des 1993 geborenen Klägers ist am 22. Juni 2007 Opfer eines tätlichen Angriffs des Herrn I. (nachstehend Schädiger) geworden. Der Schädiger versetzte dem Vater des Klägers mit dem Kopf zwei heftige Stöße ins Gesicht, woraufhin der Vater des Klägers sofort das Bewusstsein verlor. Infolge dieser Verletzung starb der Vater des Klägers trotz eingeleiteter intensivmedizinischer Behandlung am 27. Juni 2007 im Krankenhaus.
Der Schädiger ist durch Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 3. März 2008 zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren wegen Körperverletzung mit Todesfolge verurteilt worden. Die hiergegen eingelegte Revision ist mit Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 22. Juli 2008 als unbegründet verworfen worden. Nach Verbüßung eines Teils der Haftstrafe ist der Schädiger aus Deutschland ausgewiesen worden.
Am 15. August 2007 beantragte der Kläger, ihm Beschädigtenversorgung nach dem OEG zu gewähren. Das berufungsbeklagte Land zog Berichte von der Psychotherapeutin J. und der Psychotherapeutin K. bei. Sodann ließ es sich ein Gutachten von der Neurologin und Psychiaterin Dr. L. (vom 15. März 2010) erstatten. Diese gelangte im Ergebnis im Wesentlichen zu der Auffassung, psychische Schäden, wie sie für einen Schockschaden gefordert würden, lägen nicht vor. Bei dem Kläger liege eine reaktive depressive Verstimmung vor. Die Überbringung der "Todesnachricht" allein habe nicht zu einem Schockschaden geführt. Dem schloss sich der Ärztliche Dienst des beklagten Landes (Dr. M.) an. Daraufhin lehnte das beklagte Land den Antrag des Klägers mit hier angefochtenem Bescheid vom 22. Juli 2010 ab. Auf den Widerspruch des Klägers zog das Land noch eine Stellungnahme der Neurologin und Psychiaterin Dr. N. bei (vom 19. September 2011). Auch diese gelangte zu dem Ergebnis, Hinweise auf einen "Schockschaden" lägen nicht vor. Die von der Psychotherapeutin J. gestellte Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung sei von dieser nicht untermauert worden.
Daraufhin wies das beklagte Land den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 28. September 2011 zurück.
Am 14. Oktober 2011 ist Klage erhoben worden.
Das Sozialgericht (SG) Braunschweig ließ sich auf Antrag des Klägers ein Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. O. (vom 12. Juli 2012) erstatten. Dieser gelangte aufgrund der Untersuchung des Klägers am 11. Juli 2012 im Wesentlichen zu dem Ergebnis, es liege ein Schockschaden vor. Zwischen dem Kläger und seinem Vater habe eine Sonderbeziehung bestanden. Das schädigende Ereignis sei so schwerwiegend gewesen, dass der Schock durch das Eigenerleben ausgelöst worden sei. Durch diesen Schock sei eine nicht nur vorübergehende psychische Störung von Krankheitswert verursacht worden. Hierbei handele es sich um eine posttraumatische Belastungsstörung, die jetzt in eine andauernde Persönlichkeitsänderung durch Extrembelastung sowie eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung sowie eine mittelgradige depressive Episode mit Suizidalität übergegangen sei. Hierbei handele es sich um eine stärker behindernde Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit. Sie sei mit einem Grad der Schädigung von 40 zu bewerten.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 4. September 2013 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe sicherlich einen Schock erlitten. Er sei mit seinem Vater auch sehr eng verbunden gewesen. Die von ihm geltend gemachten Funktionsstörungen lägen auch vor. Indessen seien die Funktionsstörungen nicht durch das schädigende Ereignis im engeren Sinne ausgelöst worden, sondern durch den Verlust des Vaters in der Folge aufgrund der Verletzungsfolgen. Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (BSG) könne daher nicht davon ausgegangen werden, dass die Verursachung der streitgegenständlichen Funktionsstörungen durch einen "Schockschaden" im Sinne der höchstrichterlichen Rechtsprechung vorliege.
Gegen das am 19. September 2013 zugestellte Urteil ist am 7. Oktober 2013 Berufung eingelegt worden.
Zu deren Begründung macht der Kläger im Wesentlichen geltend, es könne nicht zwischen der Gewalttat und dem Tod aufgrund der Verletzungsfolgen getrennt werden. Daher seien auch die jetzt vorliegenden Funktionsst...