nicht rechtskräftig

 

Verfahrensgang

SG Lüneburg (Entscheidung vom 04.09.2000; Aktenzeichen S 11 VI 23/98)

 

Tenor

Das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 4. September 2000 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 27. September 2000 wird aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Rechtsstreit betrifft die Anerkennung einer progressiven spinalen Muskelatrophie als Impfschaden und die Gewährung daraus folgender Versorgung.

Der Landkreis I. übersandte am 30. Januar 1989 dem Versorgungsamt (VA) Hannover einen Bericht vom 30. Dezember 1988 über die Störung des Impfverlaufs einer Schluckimpfung des am J. geborenen Klägers gegen Poliomyelitis im November 1975 und Januar 1976. Der Bericht enthält anamnestische Angaben der Mutter, wonach der Kläger einige Tage nach der zweiten Impfung begonnen habe, ohne äußeren Anlass zu stürzen. Nach dem Akteninhalt wurde der Kläger in der Folgezeit seit Mai 1977 in verschiedenen Kliniken (Zentralkrankenhaus K., Kinderklinik und Poliklinik der Universität L., Kinderklinik der Universität M., Kinderklinik der Stadt N.) untersucht und behandelt. Ferner wurden Muskelbiopsien neuropathologisch ausgewertet (Krankenhaus O., Nervenkliniken der Universität P.).

Am 16. Februar 1996 beantragte der Kläger die Feststellung eines Impfschadens sowie daraus folgende Versorgung. Das VA lehnte den Antrag ab (Bescheid vom 10. September 1997): Zwar seien die Impfungen glaubhaft, die festgestellte Muskelatrophie des Klägers sei jedoch nicht deren Folge. Der Widerspruch, mit dem der Kläger mangelhafte Sachverhaltsaufklärung rügte und darauf hinwies, die Inkubationszeit für die Manifestation eines Impfschadens sei eingehalten, blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 11. Mai 1998).

Gegen den am 12. Mai 1998 abgesandten Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 18. Mai 1998 bei dem Sozialgericht (SG) Lüneburg Klage erhoben. Er hat sich auf eine Dissertation zum Impfschadensrisiko bei der Poliomyelitis-Schutzimpfung gestützt und darauf hingewiesen, unstreitig sei er im November 1975 und Januar 1976 mit Lebendimpfstoff gegen Poliomyelitis geimpft worden. Sein Zustand habe sich nach dem Aufenthalt im Krankenhaus Q. 1977 in der Folgezeit verschlechtert. Er habe an einem Sprachverlust gelitten, seit April 1992 könne er sich nur noch mit dem Rollstuhl fortbewegen. Ausweislich der beigefügten ärztlichen Äußerungen sei die Ursache seiner Erkrankung nicht eindeutig geklärt. Nach prozessleitender Verfügung des SG hat der Kläger vorgetragen, die Zweitimpfung sei im Januar/Februar 1977, nicht 1976 durchgeführt worden.

Das SG hat verschiedene Auskünfte u.a. zu dem Verbleib des Impfausweises des Klägers eingeholt und Beweis erhoben durch das am 4. September 2000 mündlich erläuterte Gutachten der Neurologen Prof. Dres. R. vom 2. Juli 2000 nach Lage der Akten.

Durch Urteil vom 4. September 2000 hat das SG die angefochtenen Bescheide aufgehoben und den Beklagten verurteilt, ab Antragstellung Beschädigtenversorgung nach dem Bundesseuchengesetz (BSeuchG) zu gewähren. In den Entscheidungsgründen, auf deren Einzelheiten Bezug genommen wird, hat es ausgeführt, die unstreitig erfolgten Polio-Schutzimpfungen hätten entgegen der ursprünglichen Angaben der Eltern im November 1976/Januar 1977 stattgefunden. Ein Impfausweis liege nicht vor. Die Impfdaten ergäben sich aus der anlässlich der Aufnahme am 24. Mai 1977 im Krankenhaus Q. erhobenen Anamnese. Zwar sei dort eine Eintragung in der Spalte "Pocken" vorgenommen worden. Deren Richtigkeit sei jedoch schon deshalb zweifelhaft, weil fraglich sei, ob 1977 noch Pockenimpfungen durchgeführt worden seien. Der aufnehmende Arzt habe versehentlich Eintragungen in die Spalte "Pocken" statt "Polio" vorgenommen. Im Krankenhaus festgestellte Polio-Antikörper belegten, dass eine solche Impfung stattgefunden habe. Nach der im Mai 1977 bestehenden vollständigen Polioimmunisierung bestehe ausschließlich der mögliche Zeitraum dieser Impfungen im November 1976 und Januar 1977. Falls die Polioimpfung bereits 1975 bzw 1976 stattgefunden hätte, bleibe wegen der dann eingetretenen Immunisierung das Auftreten einer entzündlichen Erkrankung im Jahre 1977 unerklärlich. Als deren Ursache komme in erster Linie eine akute Polio-Erkrankung in Betracht. Die aus dem Aufnahmebefund des Zentralkrankenhauses Q. hervorgehenden, etwa Anfang März 1977 eingetretenen Beeinträchtigungen hätten innerhalb der Inkubationszeit gelegen. Daraus ergebe sich der vom Beklagten aufgrund vorheriger Angaben des Klägers verneinte zeitliche Zusammenhang mit der Impfung. Für eine Zweitimpfung im Jahre 1977 spreche auch der Umstand, dass das Universitätskrankenhaus S. im Dezember 1980 auf eine im Alter von 3 Jahren, also 1977 aufgetretene Schwäche der Beckengürtelmuskulatur des Klägers hingewiesen habe, welche ebenso wie häufige Stürze seit Februar 1977 von der Mutter des Klägers auf die damals durchgeführte Polio-Schluckimpfung zurückgeführt worden sei. Aus ...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge