Entscheidungsstichwort (Thema)
Herabsetzung. Höhe. Krankengeld. unechte Rückwirkung. Verfassungsmäßigkeit
Orientierungssatz
Die Herabsetzung des Krankengeldes durch das BeitrEntlG vom 1.11.1996 entfaltet eine unechte Rückwirkung. Dies ist verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässig und genügt dem rechtsstaatlichen Vertrauensprinzip, wenn die mit der Neuregelung verfolgten öffentlichen Belange (hier: zur Erhaltung der Stabilität des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung) das Interesse des Einzelnen am Fortbestand des bisherigen Rechts überwiegen (vgl BVerfG Beschluss vom 22.5.2001 - 1 BvL 4/96 = SozR 3-2500 § 240 Nr 39 unter Bezugnahme auf BVerfG vom 18.2.1998 - 1 BvR 1318/86 = BVerfGE 97, 271 = SozR 3-2940 § 58 Nr 1).
Nachgehend
Tatbestand
Die 1956 geborene Klägerin ist seit 1. August 1971 pflichtversichertes Mitglied der Beklagten. Sie ist verheiratet und hat 4 Kinder: I (geb ... 1984), H (geb ... 1986), D (geb ... 1988) und M (geb ... 1990). Die Kinder sind bei ihr familienversichert.
Die Klägerin erkrankte am 19. August 1996 arbeitsunfähig. Die Beklagte zahlte ihr ab dem 1. September 1996 Krankengeld in Höhe von 55,83 DM kalendertäglich (vgl Bescheid der Beklagten vom 13. September 1996). Mit Bescheiden vom 12. und 18. Dezember 1996 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass das Krankengeld in Folge einer Gesetzesänderung ("Sparpaket") mit Wirkung ab 1. Januar 1997 nur noch 70% des regelmäßigen Bruttoarbeitsentgeltes betrage. Eine Übergangsregelung sehe das Gesetz nicht vor. Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin mit Schreiben vom 14. Dezember 1996 Widerspruch ein, den der Widerspruchsausschuss der Beklagten mit Bescheid vom 24. Juli 1997 zurückwies. Die erfolgte Krankengeldberechnung sei nicht zu beanstanden. Da die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin am 19. August 1996 eingetreten sei, sei der Krankengeldberechnung das im Juli 1996 erzielte Arbeitsentgelt zu Grunde gelegt worden. Die von der Beklagten auf dieser Grundlage vorgenommene Errechnung des Krankengeldes iHv 55,83 DM sei nicht zu beanstanden. Durch das zum 1. Januar 1997 in Kraft getretene Gesetz zur Entlastung der Beiträge in der gesetzlichen Krankenversicherung (Beitragsentlastungsgesetz) sei § 47 Abs 1 Sozialgesetzbuch -- Gesetzliche Krankenversicherung -- SGB V -- geändert worden. Danach betrage das Krankengeld 70 vH des erzielten regelmäßigen Arbeitsentgelts und Arbeitseinkommens, soweit es der Beitragsberechnung unterliege (Regelentgelt). Das aus dem Arbeitsentgelt berechnete Krankengeld dürfe 90 vH des bei entsprechender Anwendung des § 47 Abs 2 SGB V berechneten Netto-Arbeitsentgelts nicht übersteigen. Danach betrage das Krankengeld ab dem 1. Januar 1997 nur noch 50,25 DM kalendertäglich.
Hiergegen hat die Klägerin am 30. Juli 1997 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Hannover erhoben.
Die Klägerin ist der Auffassung, das Krankengeld sei als eine Lohnersatzleistung vergleichbar mit dem Arbeitslosengeld. Da beim Arbeitslosengeld auch berücksichtigt werde, dass Familien 67% anstelle von 62% (bei Kinderlosen) bekämen, müsse auch das Krankengeld nach der tatsächlichen Kinderzahl gestaffelt werden. Dass bei der Krankengeldzahlung das Vorhandensein von Kindern berücksichtigt werden müsse, gebiete der Schutz der Familie, die gem Art 6 des Grundgesetzes -- GG -- unter dem besonderen Schutz des Staates stehe. Mit der Kürzung des Krankengeldes müsse ihre Familie auf Sozialhilfeniveau leben. Sie müsse ihr Einkommen selbst erarbeiten und bekäme keine Vorteile, die Sozialhilfeempfängern zuteil würden, wie zB die Übernahme der Kosten für drei in diesem Jahr anhängige Klassenfahrten.
Die Klägerin verweist auf den von ihr erwirkten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 17. Februar 1997, wonach sich aus der Wertentscheidung des Art 6 Abs 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip die allgemeine Pflicht des Staates zu einem Familienlastenausgleich entnehmen lasse. Die Klägerin hat Aufstellungen zum "sozialhilferechtlichen Bedarf" ihrer Familie, von ihr selbst erstellt, vorgelegt sowie zwei Aufstellungen ihres Steuerberaters vom 14. November 1997 über das für Oktober 1997 erzielte Brutto- und Nettoarbeitsentgelt.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 7. Dezember 1999 abgewiesen. Die Entscheidung der Beklagten sei rechtmäßig, denn durch Art 2 des Beitragsentlastungsgesetzes vom 1. November 1996 sei die in § 47 Abs 1 SGB V geregelte Höhe des Krankengeldes mit Wirkung ab 1. Januar 1997 von 80 vH des erzielten regelmäßigen Arbeitsentgeltes und -einkommens auf 70 vH gesenkt worden. Die Reduzierung des vom Hundertsatzes erstrecke sich gem Art 4 § 2 des Beitragsentlastungsgesetzes auch auf Krankengeldzahlungen, die vor dem 1. Januar 1997 begonnen hätten. Die Beklagte habe dementsprechend das Krankengeld zutreffend auf 50,25 DM kalendertäglich gesenkt. Die Rechtsänderung sei nicht verfassungswidrig, die diesbezüglichen Einwendungen der Klägerin seien bereits vom BVerfG mit Beschluss vom 17. Februar 1997 (...