Entscheidungsstichwort (Thema)
Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung für einen erwerbsfähigen Unionsbürger mit verfestigtem Aufenthaltsrecht durch einstweiligen Rechtsschutz
Orientierungssatz
1. Ein erwerbsfähiger Unionsbürger mit einem verfestigten Aufenthalt in Deutschland von mehr als sechs Monaten hat Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt als Ermessensleistung nach § 23 Abs. 1 S. 3 SGB 12, wenn aufenthaltsbeendende Maßnahmen gegen ihn weder eingeleitet noch vorbereitet sind. In einem solchen Fall ist das dem Leistungsträger eingeräumte Ermessen auf Null reduziert.
2. Eine durch Erwerbstätigkeit erworbene Eigenschaft als Selbständiger i. S. von § 2 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG bei unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach weniger als einem Jahr Beschäftigung wirkt während der Dauer von sechs Monaten fort und vermittelt ein Aufenthaltsrecht.
3. Im einstweiligen Rechtsschutz ist zur Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums im Wege der Folgenabwägung zu entscheiden. Dabei tritt das Vollzugsinteresse des Leistungsträgers hinter den Interessen des Antragstellers zurück.
Tenor
Die Beschwerde des Beigeladenen gegen den Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 05.07.2016 wird zurückgewiesen.
Der Beigeladene trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Antragsteller im Beschwerdeverfahren.
Den Antragstellern wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt.
Gründe
I.
Auf die Beschwerde des Beigeladenen streitig ist seine einstweilige Verpflichtung, den Antragstellern ab dem 16.03.2016 für längstens 6 Monate Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII zu gewähren.
Die im November 1980 geborene Antragstellerin zu 1) und der im März 1981 geborene Antragsteller zu 2) sind miteinander verheiratete kroatische Staatsbürger und Eltern der 2011 geborenen Antragstellerin zu 3). Sie halten sich seit 2012/ 2013 in der Bundesrepublik auf. Vom 01.10.2014 bis zum 09.06.2015 war der Antragsteller zu 2) im Angestelltenverhältnis für ein Logistikunternehmen als Paketzusteller tätig, im Anschluss hieran vom 10.06.2015 bis zum 26.01.2016 (Abmeldung des Gewerbes "Kurierdienst") als Auftragnehmer eines Subunternehmers desselben Logistikunternehmens. Nach Angaben des Antragstellers zu 2) wurde die Tätigkeit aufgegeben und das Gewerbe zum 26.01.2016 abgemeldet, weil der Subunternehmer (1. Stufe) nicht zahlte.
Den am 03.02.2016 gestellten Antrag auf Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 04.03.2013 und der Begründung ab, die Antragsteller seien gem. § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II wegen Aufenthalts alleine zur Arbeitsuche vom Leistungsanspruch ausgeschlossen. Gegen diesen Bescheid ist Widerspruch eingelegt worden.
Am 16.03.2016 haben die Antragsteller zu 2) im vorliegenden Verfahren die einstweilige Verpflichtung des Antragsgegners zur Erbringung von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II begehrt. Der Antragsteller zu 2) sei als Arbeitnehmer unter Zusammenrechnung der in abhängiger Beschäftigung und selbstständig ausgeübten Tätigkeiten anzusehen, das Mietverhältnis wegen Nichtzahlung der Miete gekündigt worden.
Das Sozialgericht hat den für den Wohnort der Antragsteller zuständigen Sozialhilfeträger beigeladen und diesen mit Beschluss vom 05.07.2016 verpflichtet, den Antragstellern vorläufig ab dem 16.03.2016 bis zu einer bestands- oder rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, längstens für 6 Monate Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII in gesetzlicher Höhe zu gewähren. Auf die Begründung des Beschlusses wird Bezug genommen.
Gegen den am 05.07.2016 zugestellten Beschluss richtet sich die Beschwerde des Beigeladenen vom 19.07.2016. Ein Anspruch nach dem SGB XII komme entgegen der Rechtsprechung des BSG nicht in Betracht, da dies ein Leistungssystem ausschließlich für Nichterwerbsfähige sei. Bei den Antragstellern zu 1) und 2) handele sich jedoch um erwerbsfähige Erwachsene mit der Folge, dass eine Leistungszuständigkeit des Beigeladenen nicht bestehe.
Der Antragsgegner hält einen Anspruch nach dem SGB II auch weiterhin für nicht gegeben, weil die Antragsteller vom Leistungsausschluss wegen Aufenthaltes alleine zur Arbeitsuche betroffen seien und insbesondere dem Antragsteller zu 2) ein Aufenthaltsrecht als Selbstständiger nur bis zur Aufgabe der Tätigkeit zum 26.01.2016 zugestanden habe. Anders als das Aufenthaltsrecht des Arbeitnehmers verlängere sich das Aufenthaltsrecht des selbstständig Tätigen mit weniger als insgesamt einem Jahr Tätigkeit nicht nach § 2 Abs. 3 S. 3 FreizügG. Entsprechend sei eine Zusammenrechnung der als Arbeitnehmer verbrachten Beschäftigungszeiten des Antragstellers zu 2) mit der Zeit als Selbstständiger ausgeschlossen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Den Antragstellern ist im Wege der Folgenabwägung Hilfe zum Lebensunterhalt in Form des Regelbedarfs nach §§ 19, 27, 27a SGB XII zuzuerkennen.
Nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelu...