Entscheidungsstichwort (Thema)
Ermittlung der angemessenen Kosten der Unterkunft durch den Grundsicherungsträger
Orientierungssatz
1. Die Ermittlung der abstrakt angemessenen Kosten der Unterkunft nach § 22 SGB 2 hat unter Anwendung der sog. Produkttheorie nach einem schlüssigen Konzept zu erfolgen.
2. Die vom Grundsicherungsträger hierzu zu ermittelnden Daten müssen ein realistisches Abbild des maßgeblichen Wohnungsmarktes liefern, für den das Konzept gelten soll.
3. Im Fall einer fehlenden Schlüssigkeit des Konzepts und einer fehlenden Möglichkeit der Nachbesserung sind mangels rechtlich zulässiger abstrakter Angemessenheitsgrenzen die tatsächlichen Aufwendungen für die Unterkunft zugrunde zu legen, begrenzt durch die Tabellenwerte nach dem WoGG zuzüglich eines Sicherheitszuschlags von 10% (BSG Urteil vom 30. 1. 2019, B 14 AS 10/18 R).
Tenor
Auf die Beschwerde der Klägerinnen wird der Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 17.07.2020 geändert und den Klägerinnen Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren unter Beiordnung des Rechtsanwalts X, E-Str. 0, Münster, bewilligt.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
A.
Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere statthaft, der Beschwerdewert übersteigt 750,00 EUR (§§ 172 Abs. 3 Nr. 2 b) i.V.m. § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).
Die Beteiligten streiten um die Anerkennung höherer Bedarfe für Unterkunft und Heizung im Bewilligungszeitraum für Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) von Dezember 2018 bis November 2019. Die Klägerinnen haben den Streitgegenstand zulässigerweise insoweit beschränkt (dazu BSG Urteile vom 04.06.2014, B 14 AS 42/13 R, juris Rn. 12 ff.; und vom 06.08.2014, B 4 AS 55/13 R, juris Rn. 12).
Die tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung betrugen monatlich 420 EUR Kaltmiete, 154,90 EUR Betriebskosten und 75,10 EUR Heizkosten. Die Beklagte bewilligte den Klägerinnen Leistungen unter Berücksichtigung von Kosten der Unterkunft und Heizung i.H.v. 456,30 EUR (Bruttokaltmiete) und 75,10 EUR Heizkosten (Bescheid vom 06.11.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.02.2020). Insofern ist die Berücksichtigung monatlich 118,60 EUR hinter den tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung zurückgeblieben. Klägerseitig wird hiervon unter Rückgriff auf die Werte der Wohngeldtabelle ein Gesamtbetrag von 768 EUR geltend gemacht (zur Zusammenrechnung der Beschwer bei subjektiver Klagehäufung/Streitgenossenschaft: Wehrhahn in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Auflage 2017, § 144 SGG Rn. 21; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage 2020, §144 Rn. 16 m.w.N.).
B.
Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren vor dem Sozialgericht Münster folgt aus § 73a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 114 Abs. 1 S. 1 Zivilprozessordnung (ZPO).
I. Danach erhält ein Beteiligter auf Antrag Prozesskostenhilfe, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Dabei reicht es für die Bejahung der Erfolgsaussicht aus, dass der Erfolg eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich hat (LSG NRW Beschluss vom 11.12.2012, L 7 AS 1906/12 B). Die Prüfung der Erfolgsaussicht soll jedoch nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe vorzuverlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Das Prozesskostenhilfeverfahren will den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz erfordert, nicht selbst bieten, sondern zugänglich machen. Die Gewährung von Prozesskostenhilfe ist bereits dann vorgesehen, wenn nur hinreichende Erfolgsaussichten für den beabsichtigten Rechtsstreit bestehen, ohne dass der Prozesserfolg schon gewiss sein muss (BVerfG Beschlüsse vom 04.08.2016, 1 BvR 380/16 und vom 07.04.2000, 1 BvR 81/00). Dies ist in aller Regel dann anzunehmen, wenn der Rechtsstandpunkt eines Klägers vertretbar ist und die behaupteten anspruchsbegründenden Tatsachen nachweisbar erscheinen (LSG NRW Beschluss vom 23.04.2012, L 7 AS 1059/11 B; Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage 2020, § 73 a Rn. 7a). Bei schwierigen und noch nicht eindeutig geklärten Rechtsfragen, die für die Entscheidung erheblich sind, ist grundsätzlich Prozesskostenhilfe zu gewähren (BVerfG Beschluss vom 13.03.1990, 2 BvR 94/88, juris; BVerfG Beschluss vom 22.05.2012, 2 BvR 820/11, juris Rn. 11).
II. Nach diesen Maßstäben sind hinreichende Erfolgsaussichten zu bejahen. Vorliegend hängt die Rechtmäßigkeit der Ermittlung abstrakt angemessener Aufwendungen durch die Beklagte von einer schwierigen Rechtsfrage ab, deren Beantwortung dem Hauptsacheverfahren vorbehalten ist (vgl. LSG NRW Beschluss vom 08.04.2021, L 7 AS 1493/20 B, juris Rn. 12) und weitere Tatsachen...