Entscheidungsstichwort (Thema)
Maßgebliche Kriterien für die Höhe der Vergütung eines medizinischen Sachverständigengutachtens
Orientierungssatz
1. Bei der Festsetzung der Vergütung für ein vom Sozialgericht eingeholtes ärztliches Sachverständigengutachten ist geltend gemachte Zeit für Literaturstudium nicht vergütungsfähig. Ein gerichtlich beauftragter Sachverständiger hat über hinreichende Fachkenntnisse zu verfügen.
2. Bei dem Arbeitsschritt Abfassung und Beurteilung ist der Umfang und die Schwierigkeit der gedanklichen Arbeit des Sachverständigen im Einzelfall maßgeblich.
Tenor
Auf die Beschwerde des Sachverständigen wird der Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 20.07.2020 unter Zurückweisung der Anschlussbeschwerde der Staatskasse geändert. Die dem Sachverständigen für sein Gutachten vom 17.03.2020 zustehende Vergütung wird auf 1.786,19 Euro festgesetzt. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die in Anbetracht der begehrten Heraufsetzung der Vergütung um 624,75 Euro auf die ursprünglich geltend gemachten 2.187,82 Euro nach Maßgabe von § 4 Abs. 3 Satz 1 JVEG statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde des Sachverständigen, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat und über die der Senat mangels besonderer Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art oder grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache durch den Vorsitzenden und Berichterstatter als Einzelrichter entscheidet (§ 4 Abs. 7 Satz 1 und 2 JVEG), ist teilweise begründet. Die in entsprechender Anwendung von § 567 Abs. 3 ZPO zulässige (vgl. Meyer/Höver/Bach/Oberlack/Jahnke, JVEG, 27. Aufl. 2018, § 4 Rn. 14 m.N.), als bloßes Angriffsmittel zur Aufhebung des Verbots einer reformatio in peius im Beschwerdeverfahren (vgl. Karl, in: jurisPK-SGG, § 172 Rn. 17 m.w.N.) weder der Abhilfe durch das erstinstanzliche Gericht noch der Statthaftigkeitsbeschränkung des § 4 Abs. 3 Satz 1 JVEG (vgl. Heßler, in: Zöller, ZPO, § 567 Rn. 58) unterliegende Anschlussbeschwerde der Staatskasse, die auf eine weitere Herabsetzung der Vergütung auf 1.518,44 Euro gerichtet ist, ist demgegenüber unbegründet. Das Sozialgericht hat die dem Sachverständigen für die Erstattung seines Gutachtens vom 17.03.2020 zustehende Vergütung zu Unrecht auf 1.563,07 Euro festgesetzt. Dem Sachverständigen steht zwar nicht die beantragte, aber eine höhere Vergütung von 1.786,09 Euro zu.
1. Für die gemäß §§ 9 Abs. 1 Satz 1, 8 Abs. 1 Satz 1 JVEG nach Zeitaufwand zu bemessende Vergütung sind 1.462,50 Euro anzusetzen. Der Ansatz der Honorargruppe M2 im Sinne der Anlage 1 zum JVEG (75,- Euro pro Stunde) ist dabei zwischen den Beteiligten unstreitig und auch in der Sache nicht zu beanstanden. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts ist aber ein Zeitaufwand von 19,5 Stunden als erforderlich anzusehen.
Nach §§ 9 Abs. 1 Satz 1, 8 Abs. 1 Satz 1 JVEG richtet sich die Vergütung des Sachverständigen nach der für die Gutachtenerstellung erforderlichen Zeit. Wie viel Zeit erforderlich ist, hängt nicht von der individuellen Arbeitsweise des Sachverständigen ab, sondern ist nach einem objektiven Maßstab zu bestimmen. Erforderlich ist derjenige Zeitaufwand, den ein Sachverständiger mit durchschnittlicher Befähigung und Erfahrung bei sachgemäßer Auftragserledigung mit durchschnittlicher Arbeitsintensität benötigt, um sich nach sorgfältigem Studium ein Bild von den zu beantwortenden Fragen machen zu können und nach eingehender Überlegung seine gutachtlichen Darlegungen zu den ihm gestellten Fragen schriftlich niederzulegen. Dabei ist der Umfang des unterbreiteten Sachstoffs, der Grad der Schwierigkeit der zu beantwortenden Beweisfragen unter Berücksichtigung seiner Sachkunde auf dem betreffenden Gebiet und die Bedeutung der Sache angemessen zu berücksichtigen (ständige Rechtsprechung des zuständigen Senats, statt vieler Beschluss vom 20.02.2015 - L 15 KR 376/14 B -, juris Rn. 28 m.w.N.).
Nach ständiger Rechtsprechung des Senats sowie des zuvor für Vergütungsansprüche von Sachverständigen zuständigen 4. Senats des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen gliedert sich die Erstellung eines Gutachtens zur Gewährleistung eines objektiven Maßstabs hinsichtlich des erforderlichen Zeitaufwandes in vier vergütungspflichtige Arbeitsschritte (vgl. z.B. Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschl. vom 25.02.2005 - L 4 B 7/04 -, juris Rn. 22 ff. m.w.N.):
1. Zeitaufwand für Aktenstudium und vorbereitende Arbeiten,
2. Zeitaufwand für Untersuchung und Anamnese,
3. Zeitaufwand für Abfassung der Beurteilung,
4. Zeitaufwand für Diktate und Durchsicht.
Ausgehend von dieser eine gleichmäßige Rechtsanwendung gewährleistenden und im Hinblick auf die Anforderungen an ein sozialmedizinisches Sachverständigengutachten (vgl. hierzu z.B. Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschl. v. 22.04.2008 - L 1 B 89/08 SK -, juris Rn. 4; Giesbert, in jurisPK-SGG, § 128 Rn. 55) sachgerechten Strukturierung lässt sich zwar ein Zeitaufwa...