Entscheidungsstichwort (Thema)

Bewilligung von Leistungen des SGB 2 an einen Unionsneubürger durch einstweiligen Rechtsschutz

 

Orientierungssatz

1. Die Frage, ob ein bulgarischer Staatsangehöriger als Unionsneubürger Anspruch auf Leistungen des SGB 2 hat, ist angesichts der Komplexität der gesetzlichen Regelungen unter Berücksichtigung der Einwirkungen der europarechtlichen Rechtsnormen auf die nationalen Gesetze im summarischen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes abschließend nicht zu beurteilen.

2. Infolgedessen ist anhand einer Folgenabwägung zwischen den fiskalischen Interessen des Grundsicherungsträgers und den Interessen des Hilfebedürftigen zu entscheiden. Diese fällt wegen der gebotenen Sicherstellung des Existenzminimums zugunsten des Antragstellers aus.

 

Normenkette

SGB II § 7 Abs. 1 S. 2 Nrn. 1-2, S. 1 Nrn. 1-2, § 8 Abs. 1, 2 Sätze 1-2, § 41 Abs. 1 S. 4; VO (EG) 883/2004 Art. 4, 70 Abs. 1-2, 4; AEUV Art. 45, 267 Abs. 1, 3; FreizügG/EU § 2 Abs. 3; Richtlinie 2004/38/EG Art. 14 Abs. 4, Art. 24 Abs. 2; SGG § 86b Abs. 2 S. 1

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Duisburg vom 27.02.2014 geändert. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe des Regelbedarfs von 391 EUR nach dem SGB II ab dem 25.01.2014 bis zum 30.06.2014 zu gewähren. Der Antragsgegner trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin in beiden Rechtszügen. Der Antragstellerin wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt M aus F bewilligt.

 

Gründe

Die Beschwerde der Antragsstellerin ist begründet.

1) Gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruches, d. h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d. h. die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Können ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Scheidet eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren aus, ist auf der Grundlage einer an der Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes orientierten Folgenabwägung zu entscheiden (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 -, BVerfGK 5, 237 = NVwZ 2005, 927; Keller in: Meyer-Ladewig u.a., Kommentar zum SGG, 10. Auflage 2012 zu § 86b, Rn. 29 a).

2) Die Entscheidung des Sozialgerichts (SG) Duisburg vom 27.02.2014 war unter Berücksichtigung der Grundsätze der Folgenabwägung aufzuheben. Der Antragsgegner war zu verpflichten, der Antragstellerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in Höhe des begehrten Regelbedarfs von monatlich 391 EUR vorläufig für den Zeitraum vom 25.01.2014 bis 30.06.2014 zu gewähren.

a) Nach summarischer Prüfung sind die allgemeinen Voraussetzungen der Leistungsgewährung nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II gegeben. Die Antragstellerin ist am 07.09.1989 geboren und hat damit das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht (§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB II). Als bulgarische Staatsangehörige ist die Antragstellerin erwerbsfähig i.S.v. § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB II i.V.m. § 8 Abs. 1 und Abs. 2 SGB II (vgl. BSG, Urteil vom 30.01.2013 - B 4 AS 54/12 R, Rn. 13 ff). Die Antragstellerin ist nach bisherigen Erkenntnissen i.S.v. §§ 7 Abs. 1 S.1 Nr. 3, 9 SGB II auch hilfebedürftig; auf die entsprechende eidesstattliche Versicherung der Antragstellerin vom 24.01.2014 wird hingewiesen. Hiermit hat die Antragstellerin erklärt, sie sei mittellos, sie habe nichts auf ihrem Konto bei der Postbank. Gegenteilige Anhaltspunkte liegen nicht vor und sind vom Antragsgegner auch nicht in substantiierter Form geltend gemacht worden. Die Antragstellerin hat im Übrigen auch ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland i.S.v. § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB II glaubhaft gemacht (vgl. zur Frage des gewöhnlichen Aufenthaltes BSG, Urteil vom 30.01.2013 - B 4 AS 54/12 R, Rn 18 ff).

b) Bei der Frage, ob die Antragstellerin als bulgarischer Staatsangehöriger gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen ist, weil sie sich nach derzeitiger Aktenlage - insbesondere auch unter Berücksichtigung der Einlassung der Antragstellerin in ihrer eidesstattlichen Versicherung vom 24...

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