Entscheidungsstichwort (Thema)
Soziale Pflegeversicherung. Pflegequalität. Streit über die Ergebnisse der Qualitätsprüfung. Transparenzbericht. einstweiliger Rechtsschutz gegen die Veröffentlichung. Rechtsgrundlage. Verfassungsmäßigkeit von § 115 Abs 1a SGB 11. Abweichung von den Vorgaben der Pflege-Transparenzvereinbarung ambulant (PTVA). fehlende Nachvollziehbarkeit. zeitlich überholter Transparenzbericht. Anwesenheit von Mitarbeitern des Pflegedienstes bei der Prüfung
Orientierungssatz
1. Zum Anspruch des Betreibers eines Pflegedienstes auf einstweiligen Rechtsschutz gegen die Veröffentlichung eines Transparenzberichts nach § 115 Abs 1a SGB 11.
2. Für die Veröffentlichung eines Transparenzberichts besteht mit § 115 Abs 1a SGB 11 eine Rechtsgrundlage, die nicht verfassungswidrig ist und deren rechtliche Grenzen nicht überschritten werden (vgl LSG Essen vom 10.5.2010 - L 10 P 10/10 B ER = KrV 2010, 203 und vom 22.6.2010 - L 10 P 59/10 B ER RG).
3. Allerdings ist die Veröffentlichung eines Transparenzberichts nur in dem von § 115 Abs 1a SGB 11 iVm der Pflege-Transparenzvereinbarung ambulant (PTVA) vorgesehenen Rahmen zulässig. Überschreitet die Veröffentlichung diese Vorgaben oder ist sie inhaltlich offensichtlich fehlerhaft, ist sie im Hinblick auf mögliche Eingriffe in die durch Art 12 Abs 1 GG geschützte Berufsausübungsfreiheit des Pflegedienstbetreibers nicht hinzunehmen.
4. Da es sich bei dem Inhalt des Prüfberichts und des darauf basierenden Transparenzberichts um "Momentaufnahmen" handelt, fehlt es an der realitätsnahen Abbildung des Qualitätsstandards, wenn der Transparenzbericht zeitlich überholt ist und nach Maßgabe des § 114 Abs 2 S 1 SGB 11 bereits aufgrund einer neuen Prüfung hätte ersetzt werden müssen.
5. Die Anwesenheit von Mitarbeitern des Pflegedienstes bei der Prüfung der Dokumentationen durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) ist zumindest sinnvoll.
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Duisburg vom 13.09.2011 geändert. Den Antragsgegnern wird es untersagt, die Veröffentlichung des Transparenzberichtes zu den Ergebnissen der Qualitätsprüfung vom 01.02.2011 über den ambulanten Pflegedienst der Antragstellerin im Internet oder in sonstiger Weise sowie dessen Freigabe an Dritte zum Zwecke der Veröffentlichung zu veranlassen. Die Antragsgegner tragen die Kosten des Verfahrens für beide Rechtszüge als Gesamtschuldner. Der Streitwert wird für jeden Rechtszug auf 25.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin (ASt) wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Veröffentlichung eines Transparenzberichts durch die Antragsgegner (AG).
Die ASt betreibt einen häuslichen Pflegedienst. Am 01.02.2011 führte der Medizinische Dienst der Krankenversicherung Nordrhein (MDK) im Auftrag der AG eine Qualitätsprüfung nach §§ 114 ff des Elften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XI) durch. Im Folgenden übersandten die AG der ASt den entsprechenden Prüfbericht und gaben ihr Gelegenheit, zu den festgestellten Mängeln Stellung zu nehmen. Mit Schreiben vom 29.03.2011 erhob die ASt umfassende Einwendungen gegen die aus ihrer Sicht teilweise falschen Feststellungen. In seiner daraufhin durch die AG eingeholten pflegefachlichen Stellungnahme vom 05.05.2011 berücksichtigte der MDK insgesamt 3 Einwendungen der ASt als berechtigt, verblieb aber im Übrigen bei den Ergebnissen des Prüfberichts. Mit Schreiben vom 13.05.2011 teilten die AG der ASt mit, dass sich eine Änderung des Prüfberichts bzw. des Transparenzberichts ergeben habe. Es sei beabsichtigt, den Transparenzbericht nunmehr am 03.06.2011 zur Veröffentlichung frei zu geben. Der ASt wurde "nochmals Gelegenheit zum Zugriff auf den vorläufigen Transparenzbericht" bis zum 02.06.2011 eingeräumt.
Ebenfalls am 13.05.2011 erging der Maßnahmenbescheid gemäß § 115 SGB XI. Am 03.06.2011 erhob die ASt beim Sozialgericht (SG) Duisburg Klage gegen den Maßnahmenbescheid (Az.: S 15 KN 310/11) und gegen die Veröffentlichung des Transparenzberichts (Az.: S 15 KN 316/11 P). Den Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Maßnahmenbescheid anzuordnen, lehnte das SG mit Beschluss vom 23.12.2011 (S 15 KN 315/11 P ER) ab. Die durch die ASt des dortigen Verfahrens erhobene Beschwerde wird beim erkennenden Senat unter dem Aktenzeichen L 10 P 20/12 B ER geführt. Der auf Grundlage des Prüfberichts erstellte Transparenzbericht weist als rechnerisches Gesamtergebnis aus dem Mittelwert der Punktebewertung der 37 Einzelkriterien der in die Bewertung einfließenden Qualitätsbereiche 1 - 3 die Note "gut" (1,6) aus. Der Qualitätsbereich "Pflegerische Leistung" erhielt danach die Note "gut" (2,4), der Bereich "Ärztliche verordnete pflegerische Leistungen" ebenfalls die Note "gut" (1,8) und der Bereich "Dienstleistung und Organisation" die Note "sehr gut" (1,0). Als Ergebnis der Befragung der Bewohner der Pflegeeinrichtung erhielt die ASt die nicht in das Gesamtergebnis einfließende Note "sehr gut" (1,0).
Am 03.06.2011 ...