Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsprüfung. Erlass eines Summenbescheides durch den Rentenversicherungsträger. Verhältnismäßigkeit. Schätzung. Beitragsnachforderung. unbillige Härte
Orientierungssatz
1. Hat der Arbeitgeber seine Aufzeichnungspflicht nach § 28f Abs 1 SGB 4 nicht ordnungsgemäß erfüllt, so erlässt der Rentenversicherungsträger im Rahmen seiner Prüfung der Versicherungspflicht und der Beitragshöhe der Beschäftigten einen Summenbescheid.
2. Ob dieser verhältnismäßig ist, ist gerichtlich voll überprüfbar, ohne dass dem Versicherungsträger ein Ermessen eingeräumt wäre. Auch wenn er bei der Wahl der Schätzmethode frei ist, muss er von sachlichen und nachvollziehbaren Erwägungen ausgehen.
3. Zur Widerlegung der Schätzung genügt ein pauschales Bestreiten durch den Arbeitgeber nicht. Erforderlich ist insoweit, dass der Arbeitgeber die Berechnung des Rentenversicherungsträgers substantiiert bestreitet.
4. Allein die mit der Zahlung der Beitragsforderung für den Arbeitgeber verbundenen wirtschaftlichen Konsequenzen führen nicht zur Annahme einer unbilligen Härte. Gerade in einer wirtschaftlich schwierigen Situation des Arbeitgebers ist der Rentenversicherungsträger gehalten, die Beiträge rasch einzutreiben, um die Funktionsfähigkeit der Sozialversicherung sicherzustellen.
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 08.06.2011 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt auch die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 28.563,48 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs vom 31.3.2011 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 30.3.2011, mit dem er auf Nachzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen im Rahmen eines Summenbescheides in Höhe von 77.352,93 Euro zzgl. Säumniszuschlägen in Höhe von 32.901,- Euro in Anspruch genommen wird.
Der Antragsteller betreibt in P das "Ristorante D". Das vorliegende Verfahren der Antragsgegnerin geht auf Ermittlungen des Hauptzollamtes (HZA) zurück, die dieses wiederum Anfang des Jahres 2009 nach einem Hinweis in einer Beschuldigtenvernehmung in einem von dem vorliegenden Verfahren unabhängigen Strafverfahren einleitete. Nach Sicherstellung von Geschäftsunterlagen und Zeugenvernehmung gelangte das HZA zu der Feststellung, dass der Antragsteller für das Betreiben des Restaurants für die Öffnungszeiten und eine Vorbereitungszeit je eine Arbeitskraft für die Küche und den Servicebereich benötige. Hinzu kämen Aushilfskräfte für die Stoßzeiten sowie ein Auslieferungsfahrer in den Abendstunden. Das HZA glich diesen Arbeitsbedarf unter Berücksichtigung von Eigenleistungen des Antragstellers und (geringen) unentgeltlichen Arbeitsleistungen seiner Söhne mit den "gemeldeten Beschäftigten" ab und kam zu dem Ergebnis einer erheblichen Unterdeckung von monatlich 488 bis zu 824 Arbeitsstunden. Hieraus schloss es auf eine entsprechende Beschäftigung nicht oder nicht ordnungsgemäß zur Sozialversicherung gemeldeter Arbeitnehmer mit einem nicht verbeitragten Lohnvolumen von zwischen ca. 2.900,- und 4.900,- Euro netto pro Monat, wenn im Anschluss an die Angaben der Zeugen von einem durchschnittlichen Nettostundenlohn von 6,- Euro ausgegangen werde.
Im Rahmen seiner Anhörung durch die Antragsgegnerin führte der Antragsteller aus, im streitbefangenen Prüfzeitraum vom 1.1.2004 bis 31.11.2009 habe er weder eine Steuerhinterziehung noch einen Betrug begangen noch Arbeitsentgelte vorenthalten oder zu geringe Sozialversicherungsabgaben abgeführt. Unzutreffend sei insbesondere, dass er eine Vielzahl von Arbeitnehmern beschäftigt und diese Personen entweder gar nicht oder in unzutreffender Weise bzw. Höhe der Einzugsstelle gemeldet habe. Nachprüfbare Beweise und Beweismittel lägen nicht vor. Zu seinen Gunsten müsse davon ausgegangen werden, dass er in der Lage gewesen sei, das Restaurant in Eigenleistung und mit den gemeldeten Beschäftigten zu betreiben. Insbesondere sei die erhebliche Mitarbeit seiner Söhne zu berücksichtigen. Er berufe sich überdies auf Beratungsfehler der Beklagten, vorsorglich auf Verjährung, und beantrage, die Vollziehung auszusetzen.
Die Antragsgegnerin forderte mit Bescheid vom 30.3.2011 Beiträge zur Sozialversicherung einschließlich der Umlagen zu den Umlagekassen U1 und U2 sowie Insolvengeld-Umlage UI in Höhe von insgesamt 110.253,93 Euro inkl. Säumniszuschlägen nach. Auf die Bescheidbegründung wird Bezug genommen.
Mit Schriftsatz vom 31.3.2011 erhob der Antragsteller hiergegen Widerspruch und beantragte gerichtlichen Eilrechtsschutz. Der angefochtene Bescheid sei rechtswidrig. Zur Begründung verwies er im Wesentlichen auf seine Angaben im Anhörungsverfahren. Bei sofortiger Vollziehung drohe ihm Insolvenz. Hierzu hat er auf Ausführungen seiner Steuerberater verwiesen, wonach erhebliche Steuernachzahlungen aus einer Betriebsprüfung im Jahre 2010 im Frühjahr 2011 hätten beglichen werden müssen und seitens der...